Mit Freude ins nächste Vorstellungsgespräch.
Denken Sie einmal an Ihr letztes Vorstellungsgespräch zurück. Welches Gefühl kommt dabei in Ihnen auf? Ärger und Frustration oder die Freude, interessante Menschen und ein neues Unternehmen kennengelernt oder gar den Job danach bekommen zu haben? Wenn ich mir Ratgeber für Bewerber ansehe, dann finde ich Hunderte von möglichen Fragen, die gestellt werden können und die perfekt vorzubereiten sind oder ich lerne, was ich anziehen soll und wie ich wem in welcher Reihenfolge die Hand schüttele. Manchmal gibt es Hinweise, wie ich es schaffen kann, durch Atmung oder andere Techniken ruhig und gelassen zu bleiben. Die große Frage ist immer gleich: Was sollte ich tun, um den anderen (also dem potenziellen neuen Arbeitgeber) zu gefallen?
Meine persönliche Meinung dazu ist: Auswendig gelernte Antworten auf die Top-100-Fragen im Vorstellungsgespräch verzerren Ihre Authentizität und führen zu noch mehr Anspannung. Sie werden zum Schauspieler, der brav seinen Text aufsagt. Und wenn Sie dann noch versuchen, Ihre Atmung in den Griff zu bekommen und sich zudem noch zu „benehmen“, wie man es von Ihnen erwartet, dann geben Sie endgültig Ihre eigene Persönlichkeit auf.
Vor kurzem wurde ich gefragt, zur Frage im Vorstellungsgespräch „Warum sollten wir gerade Sie einstellen?“ für das Portal KarriereKosmos ein Statement abzugeben, zum Artikel geht es hier. Es kommen 5 Karriere-Coaches zu Wort und auch hier überwiegen die Tipps, was ein Bewerber/eine Bewerberin alles tun kann, um sich optimal ins rechte Licht zu rücken. Diese Hinweise sind sicher wertvoll, denn sie helfen einem Bewerber im Vorfeld des Gesprächs, sich über zwei zentrale Inhalte Gedanken zu machen: die eigenen Stärken sowie die wahrscheinlichen Anforderungen an die Stelle. Mit diesem Wissen und einem guten Gefühl der Vorbereitung lässt sich das Aufeinandertreffen auch gelassener angehen.
Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass Bewerber sich häufig als die „kleinen Bittsteller“ fühlen, die um jeden Preis diesen einen Job ergattern möchten. Sie zittern trotz perfekt vorbereiteter Antworten und verinnerlichter Benimm-Regeln vor den mächtig wirkenden Personalern. Wem es gelingt, die Angst vor falschen Antworten und Fettnäpfchen zumindest ein wenig abzulegen, hat die Chance, sein wahres Ich und seine Fähigkeiten sowie sein echtes Interesse an dem Job zu vermitteln.
Verändern Sie doch einmal Ihre Perspektive auf das Vorstellungsgespräch. Sehen Sie dieses Gespräch als die Möglichkeit, dass sich zwei Seiten kennenlernen dürfen. Sie haben Ihre Fähigkeiten anzubieten – das Unternehmen hat einen Job anzubieten und es möchte von Ihren Kompetenzen profitieren. Angebot und Nachfrage – ein ganz normales Marktgeschehen. Wenn wir es auf die Spitzen treiben, dann kann sich das Unternehmen sogar glücklich schätzen, einen Menschen wie Sie zu gewinnen. Ok, zu Überheblichkeit möchte ich Sie aber auch nicht ermutigen ;-)
In den Coachings erlebe ich immer wieder, dass diese veränderte Sicht auf ein Vorstellungsgespräch bereits in der Vorbereitung zu mehr Gelassenheit und manchmal sogar zu Freude auf den anstehenden Termin führt. Was kann schlimmstenfalls geschehen? Dem Personaler passt Ihre Nase nicht oder die Stelle ist bereits intern besetzt und Sie erhalten eine Absage. Denken Sie in Chancen und nicht in Gefahren. Jedes Vorstellungsgespräch ist eine gute Übung und gibt Ihnen wertvolle Erfahrungen für das nächste Gespräch – oder den Job, den Sie gesucht haben.
Vielleicht ist der folgende Tipp etwas gewagt und könnte in so manch einem Gespräch auch in die Hose gehen, aber drehen Sie doch den Spieß einmal um mit der Frage „Angenommen, Sie haben mich eingestellt, ich mache einen guten Job und wir treffen uns in einem Jahr wieder. Was sagen Sie mir dann, warum dies damals die richtige Entscheidung war?“.
Vergewissern Sie sich immer wieder, dass auch Sie sich für diese Stelle entscheiden dürfen. Erzählen Sie im Vorstellungsgespräch, warum Sie (echt) Lust auf das Unternehmen und die Aufgaben haben. Zeigen Sie anhand Ihrer Werte im Leben und Beruf, dass Ihnen die mit der Stelle verbundenen Tätigkeiten wichtig sind und woran Sie bemerken würden, dass Sie im Unternehmen und in dieser Position richtig gut aufgehoben sind und sich wohlfühlen.
Ein sehr hilfreicher Artikel! Ich arbeite selbst im Karrierecoaching und erlebe oft Menschen, die als „Bittsteller“ eine Bewerbung schreiben und vergessen, was Sie alles anzubieten haben und wovon das Unternehmen profitieren könnte. Die Frage im vorletzten Absatz finde ich gewagt, aber sehr sehr gut. Vor allen Dingen erzeugt diese Aufmerksamkeit – aus meiner Sicht eines der wichtigsten Dinge im Bewerbungsprozedere!
Herzliche Grüße,
peter reitz
Ich finde es schwer aus der Bittstellerposition rausgekommen, wenn man a) von jobcenter in Druck ist, wenn man nicht genug Bewerbungen hat und b) noch sozial unter Druck steht, dass je mehr Zeit vergeht die Chancen sinken und man sich ständig rechtfertigen muss.