Ausbildungsmarketing: „Der Mittelstand kämpft um jeden Azubi“
Auszubildende, Ausbildungsbetriebe und die Lage am Lehrstellenmarkt waren bisher kaum Thema hier im Blog. Denn mit meinen Coaching-Schwerpunkten bin ich nicht nah genug dran am Lehrstellenmarkt. Dabei ist es ein wichtiges Thema, denn besonders mittelständische Betriebe haben zunehmend Probleme, guten Ausbildungsnachwuchs zu finden. Und Azubis stehen heute viel mehr als früher vor einer unüberschaubaren Masse an Bildungsangeboten. Als mich neulich die Agentur Junges Herz angeschrieben hat, habe ich zunächst mit meinem Mein-Blog-ist-werbefrei-Spruch geantwortet und sie abgeblockt. Doch das Thema Ausbildung ist mir persönlich sehr wichtig. Warum also nicht mit einer Expertin sprechen, die im Ausbildungsmarkt unterwegs ist? Der Webauftritt von Junges Herz hat mir gefallen. Modern, jung und ein bisschen quergebürstet. Und so entstand dieses Interview mit Doreen Messing, bei dem mich sowohl die Haltung der Azubis als auch ihre Erfahrungen aus der Arbeit mit Unternehmen interessiert haben:
Bitte stellen Sie sich kurz vor. Sie bezeichnen sich als die erste Ausbildungsmarketingagentur in Deutschland. Was ist Ausbildungsmarketing und warum ist dieses Thema für Ihre Kunden und auch die Azubis wichtig?
Doreen Messing: Ich bin Inhaberin der Recruiting-Agentur Junges Herz in Dresden. Unser Unternehmenskonzept bedient eine ständig steigende Nachfrage auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Laut Bildungsbericht der Bundesregierung sind im vergangenen Jahr über 50.000 Lehrstellen nicht besetzt worden. Besonders der Mittelstand kämpft um jeden guten Azubi.
Unsere Arbeit ist so wichtig, weil wir den Unternehmen auf ganz individueller Basis helfen können. Ein Handwerksbetrieb mit zwei Azubis pro Jahr hat einen ganz anderen Bedarf, als ein privat geführtes Bankhaus.
Auch den Azubis kommt diese Entwicklung zugute. Aktuell dominieren in der Wahrnehmung die Ausbildungsangebote der großen Konzerne. Mit unseren Kampagnen bringen wir deutlich mehr Vielfalt in den Markt und bieten somit spannende Ausbildungsberufe, welche vielleicht vorher noch gar nicht bekannt waren.
Wer investiert heute in Ausbildungsmarketing und wer sitzt bei Ihren Kunden bei diesem Thema an einem Tisch? Wird aus Ihrer Erfahrung HR-Marketing gut und richtig in das Unternehmensmarketing integriert?
Meist sprechen wir mit den HR-Managern oder den Recruitern der Unternehmen. Bei kleineren Unternehmen schaltet sich auch schon einmal die Geschäftsführung mit ein.
Unserer Erfahrung nach wird Personalmarketing aktuell viel zu lieblos betrieben. Dies liegt teilweise an der antiquierten Denkweise einiger (weniger) HR-Kollegen. Sie gehen immer noch davon aus, dass ein Ausbildungsplatz ja bitte mit Kusshand von allen Einser-Abiturienten genommen werden muss. Was sie dabei jedoch vergessen ist die Tatsache, dass Deutschland die Akademisierung mit enormer Geschwindigkeit vorantreibt und somit auch indirekt die duale Ausbildung entwertet. Viele Eltern sind immer noch der Meinung, dass ein Studium Pflicht ist und alles andere einen ungünstigen Start in das Berufsleben bedeutet.
Andererseits wird HR-Marketing aber auch deshalb so emotionslos durchgeführt, weil es sich im Unternehmen seinen Stellenwert erst noch erarbeiten muss. Schauen wir uns den amerikanischen Arbeitsmarkt an, so gehört dort Personalmarketing oder Employer-Branding zu jeder kleinen Kaffeestube. Hier in Deutschland kämpfen Recruiter um jeden Cent Budget und haben meist gar nicht die Möglichkeiten, um wirklich neue Ideen zu realisieren. Wir merken aber auch, dass seit einiger Zeit eine Art „Umdenken“ stattfindet. Besonders jüngere Recruiter werden mutiger und auch mit großartigen Erfolgen belohnt.
Stichwort Employer Branding. Auf Ihrer Homepage steht „Wir bleiben seriös, aber dennoch aufregend.“ Wie reagieren HR-Entscheider auf „aufregend“? ;-)
Sie reagieren ganz unterschiedlich. Der erste Schritt ist immer enorm entscheidend. Wenn wir erst einmal eine Idee entwickeln konnten und diese auf dem Papier steht, sehen die meisten Personaler: „Hey, das könnte echt klappen. Das sollten wir versuchen!“ Wenn wir es dann umsetzen, sind die Erfolgsquoten schon sehr gut.
Diese erste Hürde zu überwinden, sich mal ins „kalte Nass“ zu bewegen und einfach mal Mut zu neuen Dingen zu haben, fällt tatsächlichen vielen HRlern enorm schwer. Hier kann man aber nur auf Vertrauen bauen, da jede Idee und Kampagne so individuell ist, dass es einfach nicht möglich ist, im Vorfeld zu sagen: „Das bringt euch jetzt so viele Bewerber oder so viel Reputation oder so viel mehr Markenbekanntheit.“ Aus Erfahrung kann ich aber sagen: dieser Mut zahlt sich definitiv aus ;-)
Marketing bedeutet für mich auch oft nur bunte Fassade. Lassen Sie mal die Hosen runter: Welche Erfahrungen machen Sie bei Ihren Kunden, ob Maßnahmen umgesetzt und die nach außen präsentierte Kultur tatsächlich im Innen gelebt werden?
Dass Marketing eine bunte Fassade ist, sehe ich fast genauso. Ob das denn so schlimm ist, ist die andere Seite der Medaille. Wir erleben es täglich, dass Unternehmen Versprechungen machen, die einfach unglaublich schwer zu halten sind. Gerade der ganze Bereich Work-Life-Balance sieht in der Realität ganz anders aus. Da möchte ich die Unternehmen jedoch etwas in Schutz nehmen. Im Mittelstand gibt es bereits viele sehr tolle Positiv-Beispiele. Da werden in Kampagnen tolle Arbeitsbedingungen versprochen und die Unternehmenskultur übertrumpft diese geschürten Erwartungen noch einmal. Große Firmen haben da aktuell etwas das Nachsehen, weil diese Apparate deutlich langsamer laufen und einfach viel mehr Entwicklungszeit benötigen. Was wir aber sehr selten sehen sind Arbeitgeber, die falsche Versprechungen machen.
Seitenwechsel: Wie ticken Azubis heute? Was ist ihnen wichtig und wonach suchen sie ihren Ausbildungsplatz aus? Gibt es Unterschiede nach Bildung, Region oder Branche?
Hier muss man sehr deutlich differenzieren. Schüler aus der Hauptschule suchen und finden ganz anders als Gymnasiasten. Auch die Bereitschaft der Unternehmen mit den verschiedenen Bildungsgruppen zu sprechen, unterscheidet sich enorm.
Aus der Praxis können wir aber sagen, dass Jugendliche aller Bildungsschichten, Regionen und Branchen viele Überschneidungen haben. Fast alle wollen Sicherheit. Sie wollen nach der Ausbildung nicht hängen gelassen werden sondern möchten eine realistische Übernahmechance haben. Geld ist immer noch ein ganz großer Anreiz, auch wenn dieser Indikator in den letzten Jahren zunehmend abnimmt. Einen besonderen Stellenwert nimmt nach wie vor noch das Image des Unternehmens ein. Gegen Audi, Siemens, Lufthansa und Porsche haben natürlich eher unbekannte Unternehmen schlechtere Karten. Hier helfen richtig gute Azubimarketing-Strategien. ;-) Was aber übrigens nicht heißt, dass diese Big-Player nicht auch Probleme haben. Nur eben ganz anderer Natur.
Wir merken jedoch sehr deutlich, dass besonders das Handwerk immer größere Probleme in der Nachwuchsarbeit hat. Auch die Pflegebranche kämpft mit vielen unbesetzten Lehrstellen. Hier liegen die Probleme jedoch eher auf politischer Ebene. Ein junger Mensch, der die Wahl zwischen einem Bürojob und körperlich harter Arbeit hat, wird sich heute meist für den Bürojob entscheiden. Wenn dann auch noch dieser Bürojob teilweise um ein Vielfaches besser bezahlt wird, dann läuft definitiv nicht alles richtig.
Was sollten Auszubildende bei der Suche und Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz heute besonders beachten? Haben Sie Tipps für meine jungen Leser?
Wenn wir mit jungen Menschen sprechen, dann sagen wir immer: „Schaut euch diese Menschen genau an, die euch ausbilden wollen. Wollt ihr mit diesen Menschen mehrere Jahre eurer Zeit verbringen? Wollt ihr täglich mehrere Stunden mit diesen Menschen zusammenarbeiten?“
Natürlich ist das überhaupt nicht drohend gemeint, sondern eher als Aufforderung zur Fremdeinschätzung. Bedingt durch die standardisierten Ausbildungsberufe gibt es in der Qualität meist kaum einen erkennbaren Unterschied. Wir wissen jedoch aus Gesprächen mit IHK und Handwerkskammern, dass Azubis mit einem guten Verhältnis zu ihren Ausbildern auch bessere Leistungen bringen und zufriedener sind. Die Jugendlichen haben heute den Luxus, dass sie sich die Ausbildungsstelle fast frei aussuchen können. Wenn dann auf dem Zettel noch drei oder vier Unternehmen stehen, die alle ungefähr das Gleiche bieten, sollten sie auch nach menschlichen Faktoren entscheiden.
Sie arbeiten viel mit Hochschulen zusammen. Sind Absolventen heute gut auf den Berufseinstieg vorbereitet? Was empfehlen Sie Hochschulen und Unternehmen, wie der Übergang vom Studium in den Beruf noch besser gestaltet werden kann?
Leider zeigen unsere Erfahrungen, dass viele Studenten kaum auf den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet sind. Mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge nahm auch die Zeit für intensive Praktika oder längere Studi-Jobs immer weiter ab. Richtig ist, dass die Studenten nun durch Pflichtpraktika mal oberflächlich in die Unternehmen reinschauen können. Meist bleibt es aber auch dabei.
Hochschulen sollten noch intensiver mit der Wirtschaft kooperieren. Bereits vor dem Studium sollten Abiturienten die Möglichkeit erhalten, den Job nach dem Wunschstudium mal kennenzulernen. Klar ist es für viele BWLer schwierig, zu sagen, welchen Weg sie nach dem Studium einschlagen werden. Dennoch wäre es für viele Schüler enorm hilfreich, wenn sie überhaupt eine Ahnung hätten, was da auf sie zukommen kann. Diese romantischen Vorstellungen der Arbeitswelt ziehen sich meist weit in die Studienzeit hinein. Die hohen Abbruch- und Wechselquoten zeigen uns auch, dass die Studenten einfach zu wenig Orientierung haben.
Unternehmen und Hochschulen sind hier gleichermaßen gefordert. Wenn nicht bereits in der Schule, so müssen sie zumindest in den ersten Semestern für Kontakte zwischen den Studenten und den Unternehmen sorgen. Im Sinne von: „Hey, schau mal. Das ist unser Layouter Paul. Der hat sieben Jahre Design studiert und entwickelt jetzt PPts für Kundenpräsentationen. Willst du das auch?“
Sie haben sich intensiv mit den Generationen Y und Z beschäftigt. Wenn Sie die Haltung zu Beruf und Karriere für beide Generationen anhand von 3 Begriffen beschreiben müssten, welche wären das?
Gen-Y: Hier passen wohl ganz gut: spießig, mutig, illusioniert. Dazu eine kurze Erläuterung. Generation Y ist nicht das, was man in Szene-Blogs und reichweitenstarken Magazinen so liest. Die Geschichte von den Machern, Systemveränderern und anspruchsvollen Dauergründern entspricht nicht der Realität. Und das ist auch absolut gut so. Denn diese Generation ist genau so lustig-spießig und von der scheinbar neuen globalen Arbeitswelt illusioniert, wie viele Generationen zuvor. Was jedoch mit dazu kommt, ist dieser kleine Funke Mut, den ganz viele mitbringen. Diese 30-Tage-Urlaub-gehören-nun-mal-dazu-Attitüde, die diese Generation einfach so wichtig für unsere Arbeitswelt macht.
Gen-Z: Über die Generation Z können wir aktuell noch nicht viel sagen. Im Azubimarketing merken wir jedoch, dass die meisten genauso verunsichert und uninformiert sind, wie wir es wahrscheinlich alle mit 15 oder 16 Jahren waren. Und das ist absolut legitim. Was wir jedoch sehr deutlich merken, ist der schnelle Sprung raus aus der Verunsicherung hinein in eine tiefe Gelassenheit gegenüber dem Arbeitsmarkt. Das wäre für einige Generationen vorher unvorstellbar. Es scheint so, als würde sich diese teilweise bleierne Zukunftsangst der vorherigen Generationen nicht vererben. Das ist doch schon mal ein Anfang.
Letztlich muss zu dieser Generationen-Debatte aber noch gesagt werden, dass man Menschen nicht versuchen sollte in Schubladen zu packen und dann zu bewerten. Es sind und bleiben Menschen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften.
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