Was bin ich? Heiteres Beruferaten reloaded
Kennen Sie noch die Fernsehsendung mit den Schweinderln und den 5 Mark Münzen? Beim Gong wurde der gesuchte Beruf des Gastes von Robert Lembke eingeblendet und die Raterei nahm ihren Lauf. Ich habe diese Sendung geliebt, denn die Berufe waren zum Teil ziemlich abgefahren. Und heute? Viele könnten das Sparschwein vor sich selbst hinstellen und mit der Raterei ihres eigenen Berufs reich werden. Denn den scheinen sie entweder vergessen, erfolgreich verdrängt oder niemals für sich definiert zu haben. Es ist eine Beobachtung, die ich regelmäßig mache. Nicht auf einer Party oder an der Supermarktkasse, sondern zu Beginn eines Coachings, wenn Klienten meinen Anmeldebogen ausfüllen und zum Punkt ‚Beruf‘ kommen: »Was möchten Sie da jetzt von mir hören?« oder »Muss ich das auch ausfüllen?« fragen sie mich und ziehen dabei die Stirn in Falten. Und dann beginnt das Ratespiel: Ja, was bin ich denn eigentlich?
Was bin ich? 5 Fährten zur Antwort auf die Frage nach Ihrem Beruf.
Ich bin mein höchster Bildungsabschluss
Dieser Ansicht sind scheinbar viele Berufstätige und schreiben Bankkaufmann, Bau-Ingenieur oder Fachkraft für Lagerwirtschaft auf die lange Linie hinter ‚Beruf‘ auf meinen Anmeldebogen. Der Beruf ist die offizielle Bezeichnung, die auf einer seriösen Urkunde steht. Etwas Nachweisbares, das sie auch einer Bewerbung beilegen können.
Selbst wenn diese Abschlüsse 20 Jahre zurück liegen, Bankkaufmann bleibt Bankkaufmann – ein Leben lang. Und da ist es auch unerheblich, ob jemand heute noch in der Bank arbeitet. Diese Definition von Beruf führt manchmal dazu, dass die aktuelle Tätigkeit komplett untergeht oder in Erklärungen nach dem Motto »Ja, aber heute mache ich ja dieses und jenes …« mündet. Es folgt eine Beschreibung von operativen Tätigkeiten oder Zuständigkeiten, doch der Beruf bleibt »Bankkaufmann«. Eine Haltung und Sichtweise, die die Identifikation mit dem aktuellen Beruf (also der Tätigkeit) in meinen Augen stark erschwert.
Stimmen hingegen Abschluss und Inhalte noch weitgehend zueinander, dann ist dies eine gute und insbesondere für viele Angestellte unterer Hierarchieebenen sinnvolle Berufsbezeichnung, die sie in Formularen oder beim Small-Talk auf der Party nennen können.
Ich bin eine Position im Unternehmen
Ralf (Name geändert) ist 32 Jahre jung und wurde vor 2 Monaten zum Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens berufen. Er kommt zu mir, damit ich ihn in den ersten Monaten seiner neuen Position als Sparringspartner begleite. Auch hier: Der Anmeldebogen, Punkt ‚Beruf‘: Er: »Ja, was bin ich denn?« Ich: »Was steht denn auf Ihrer Visitenkarte?« Er: »Naja, Geschäftsführer. Aber das ist doch kein Beruf!«
Ist das, was auf Ihrer Visitenkarte, dem Türschild oder in dem Kästchen des Organigramms steht, nur eine zufällige Abfolge unbedeutender Buchstaben? Im Fall des frisch gebackenen Geschäftsführers zeigte sich, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Geschäftsführer fühlte und in dieser Position auch noch nicht angekommen war. Verständlich, dass er ein Problem damit hatte, seinen Beruf als Geschäftsführer zu benennen.
Fehlt die Identifikation mit der Position oder weichen die tatsächlichen täglichen Aufgaben sehr stark von der Positionsbezeichnung ab, dann fällt es Arbeitnehmern schwer, ihre Position im Unternehmen gleichzeitig als Beruf zu benennen.
Für den stimmigen Fall gilt auch hier: Die Position im Unternehmen lässt sich häufig mit dem Beruf gleichsetzen und dürfte nach dem Ausbildungs- oder Studienabschluss vor allem für ältere Berufserfahrene die häufigste Antwort auf die Frage nach dem Beruf ausmachen.
Ich bin der Chief oder Head of irgendwas
Neulich erhielt ich auf einer Netzwerkveranstaltung eine Visitenkarte von einem ‚Head of Sales and Marketing Sweets & Candy DACH‘. Ok, das war ein guter Einstieg für ein wirklich interessantes Gespräch. Doch ich stellte mir auch vor, was dieser Herr wohl in meinen Anmeldebogen schreiben oder auf einer Party gefragt nach seinem Beruf sagen würde. Vielleicht »Ich bin leitender Angestellter in einem Lebensmittelkonzern« und wenn er ganz redselig ist, dann vielleicht noch mit dem Zusatz » … und für den Bereich Marketing und Vertrieb verantwortlich.«
Es ist unglaublich, welche Job-Titel-Absurditäten sich selbst in traditionellen deutschen und sogar mittelständischen Unternehmen heute ausgedacht werden. Ja, auf der einen Seite wünschen sich viele Angestellte und Manager hochtrabend klingende Job-Titel, auf der anderen Seite führt dies jedoch – meiner Meinung nach – dazu, dass die Verbindung mit dem Beruf (und hier spreche ich extra mal nicht vom Job) verloren geht.
Nicht nur, dass der Hausmeister zum Facility Manager oder die Putzfrau noch auf Deutsch zur Fachkraft für Bodenhygiene werden, je exponierter klingend, desto besser. Wenn Sie es ausprobieren möchten, ich bin hier auf den Job-Titel-Generator für Angeber und Aufschneider gestoßen.
Letzte Woche bekam ich eine Mail von einem mir bisher unbekanntem Solo-Unternehmer, in seiner Signatur die Position ‚CEO FirmaXY‘. Das ist in diesem konkreten Fall nicht nur juristische Hochstapelei, sondern in meinen Augen auch ziemlich lächerlich.
Angefangen hatte es vor Jahren mit der zunehmenden Internationalisierung der Konzerne mit dem Vorstandschef, der zum CEO wurde, vielleicht nannte sich der Rechnungswesen-Chef auch noch CFO. Heute ist gefühlt jeder Haupt-Verantwortliche für eine Wertschöpfungs- oder Unterstützungsfunktion im Unternehmen irgendein Chief Officer. Wenn es Sie interessiert, hier finden Sie eine Auswahl. Ich behaupte, diese internationalen und häufig einfach auf die deutschen Strukturen übertragenen Titel-Fassaden führen dazu, dass wir vor lauter wichtig klingender Bezeichnungen das Bewusstsein für den tatsächlichen Inhalt verlieren.
Noch ein Beispiel, das mir erst gestern begegnete: Es wird ein »Project Manager Daily Business (m/w)« gesucht. Also ein »Projektmanager für das Tagesgeschäft«. Kennen Sie das wichtigste Kriterium für ein Projekt? Projekte sind in sich abgeschlossene Vorhaben mit definiertem Beginn und Ende. Tagesgeschäft ist jedoch Tagesgeschäft! Hier hat HR oder der Vorgesetzte versucht, eine trendige Position zu erfinden und damit Bewerber zu ködern, aber inhaltlich ist das vollkommener Blödsinn. Und dann frage ich mich, wie sich ein Angestellter mit diesem Job dann im echten Daily Business identifizieren soll.
Ich bin doch eigentlich nichts Besonderes
Diese Antwort auf die Frage nach dem Beruf kann zwei Ursachen haben: Sie können Ihre Arbeit nicht wertschätzen oder schämen sich sogar dafür oder Sie möchten auf einer Party tiefstapeln und haben keine Lust, über Ihren Beruf zu sprechen.
Den ersten Fall erlebe ich häufiger. Das kann aber auch daran liegen, weil ich kein großer Partygänger bin :-) Alles nichts Besonderes – das höre ich oft. Die mangelnde oder gänzlich fehlende Wertschätzung dessen, was jemand den ganzen Tag tut. Den fehlenden Blick auf das, was er in den letzten Jahren erfolgreich geschafft hat. Gute Leistungen und Erfolge werden für viele Angestellte mit der Zeit zur Gewohnheit und rücken aus dem Bewusstsein. Fehler hingegen werden immer als solche erkannt und führen zu Ärger oder Frust. Insbesondere wenn ich mit Klienten über ihre nächsten Schritte oder eine berufliche Neuorientierung spreche, fehlt oftmals das eigene Bewusstsein für die Erfolge, Stärken und Talente. Es schlummert so vieles im Verborgenen, aber das alles ist heute erst einmal wertlos, weil nichts Besonderes. Und so wird auch der eigene Beruf ganz schnell zu »Ach, ich bin nichts Besonderes.« und als Folge zu fehlender Identifikation und Motivation.
Fall zwei: Der Tiefstapler. Ihm ist es unangenehm, offen und ehrlich über seinen Beruf zu sprechen. Vielleicht weil er die immer gleichen Gespräche leid ist (welche Fragen hätten Sie denn an einen Schönheits-Chirurgen auf einer privaten Party?) oder weil ihm seine exponierte Position in dem (privaten) Umfeld, in dem er sich gerade bewegt, unangenehm ist. Manchmal möchten sich auch Vorstandsvorsitzende auf Augenhöhe locker unterhalten, ohne gleich auf ein Podest gehoben zu werden.
Ich bin auf jeden Fall besser höher wichtiger
Wenn es um den Beruf geht, dann ist oft auch Kräftemessen mit im Spiel. Mein Job, mein Auto, mein Haus. Treffen sich zwei Alphas auf einer Party, dann geht es um die Besetzung der Spitze des Affenfelsens. Kennen Sie solche Menschen und haben Sie mal hingehört, wie sie sich begegnen? Wo es nach Status und Machtgehabe riecht, fehlt es am Inhalt. Es geht nicht darum, zu erfahren, womit sich jemand im Beruf beschäftigt oder welche Produkte ein Unternehmen anbietet. Jeder ist nur bei sich selbst, echtes Interesse am Gegenüber ist hier komplett Fehlanzeige.
Dieses Verständnis von Beruf motiviert den klassischen Karrieristen, fleißig auf der Karriereleiter zu klettern und schnell höher zu kommen. Das mag für manche sinnvoll sein und auf Dauer funktionieren, viele von ihnen bemerken jedoch auch nach Jahren des Kletterns, dass sie genau dies nicht mehr weiterführt oder es sie sogar krank gemacht hat. Den Beruf als Wettlauf mit der Zeit und den Wettbewerbern zu definieren, ist auch eine Möglichkeit, aus meiner Sicht und Erfahrung jedoch auf Dauer keine gesunde Entscheidung.
Und? – Was ist Ihr Beruf?
Was würden Sie mir antworten oder in mein Formular eintragen auf die Frage »Was sind Sie von Beruf?« Was steckt für Sie hinter einem schnöden oder aber hochtrabend klingenden Job-Titel oder der Bezeichnung Ihres Kästchens im Organigramm? Wie stark können Sie sich mit Ihrem Berufstitel identifizieren?
Oder ist die Bezeichnung sogar am Ende des Tages völlig egal und es zählt doch eigentlich nur das, was Sie tatsächlich tun? Was ist Ihre Perspektive und welche Erfahrungen haben Sie gemacht, wenn es um die Frage der Berufsbezeichnung geht?