Kündigung nach Einstieg Investor: „Das ist nicht mehr mein Arbeitgeber!“
In letzten Monaten sitzen mir auffallend häufig Angestellte im Coaching gegenüber, die mit über 50 und vielen Jahren in einem Unternehmen nun aus eigener Initiative den Wechsel suchen. „Das ist nicht mehr mein Arbeitgeber“ ist ein Satz, den ich oft höre. Grund für ihre Frustration und Kündigung ist meist der vorausgegangene Einstieg eines Investors bei ihrem Arbeitgeber. Was hinter meiner Beobachtung steckt und worauf Betroffene in dieser Situation jetzt achten sollten.
Was über sehr viele Jahre richtig und gut war, passt nun sicher nicht mehr. Oftmals kenne ich den konkreten Auslöser ihrer Frustration aus einem Vorgespräch oder zu Beginn unserer Arbeit noch nicht, doch dann kommt irgendwann zur Sprache, was mich in letzter Zeit aufhorchen lässt und der Impuls für diesen Text ist: Fast immer ist dem Wechselwunsch ein Eigentümerwechsel in Form des Einstiegs von Investoren bei ihrem Noch-Arbeitgeber vorausgegangen.
Kündigung nach Einstieg Investor so häufig wie nie zuvor
„Wir wurden gekauft und das ganze Management ist ausgewechselt worden“, höre ich in der letzten Zeit immer häufiger. Manchmal sind es 30 Jahre und mehr, die meine Klienten dort im Unternehmen verbracht haben – oft seit einer Ausbildung oder ihrem Berufseinstieg. Sie haben vieles mit aufgebaut, Strukturen geschaffen, sind mitgewachsen, haben Höhen und Tiefen erlebt. Sie haben Führungskräfte kommen und gehen sehen, eigene Wechseloptionen vorüberziehen lassen und sind bis heute „ihrer Firma“ treu geblieben.
Doch der Wind, der nun von Investorenseite weht, stinkt besonders den Altgedienten. Unerfahren günstige Führungskräfte werden ihnen vorgesetzt, um den angerosteten Tanker kostenoptimiert für den erneuten Verkauf auf Hochglanz zu polieren. Teure alte Hasen werden subtil auf das Abstellgleis gesteuert, um sie dann Zug um Zug mit attraktiven Abfindungsangeboten aus der Organisation zu ködern. Macht, Druck und Einfluss vernichten Kollegialität, Sinn und Freude.
Die Häufung meiner Klienten Ü50 mit langjähriger Unternehmenszugehörigkeit und nun Finanzinvestoren am Management-Steuer war gefühlt nie höher als in den vergangenen Monaten. Solche Auffälligkeiten finde ich in der Praxis über die Anzahl meiner Klientinnen und Klienten spannend zu beobachten – wie auch Ende letzten Jahres das Phänomen, das ich Blind Signing getauft habe: Auffallend viele Arbeitnehmer, die kurze Zeit nach einem Jobwechsel erkennen, dass sie den Arbeitsvertrag besser nicht unterschrieben hätten.
Private Equity Transaktionen 2021 auf Rekordhoch
Ich möchte bei meiner aktuellen Beobachtung nicht von einem Trend sprechen, denn hierfür fehlt mir die statistische Datenbasis. Doch Fakt ist, dass die Anzahl der Private Equity Transaktionen 2021 ein Rekordhoch erzielt hat, so der Private Equity Trend Report der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. 2021 wurden in Deutschland 536 Transaktionen gezählt und so belegten wir den dritten Platz im europäischen Vergleich. Infolge hoher Inflation, steigenden Zinssätzen und geopolitischer Unsicherheit gingen sie 2022 auf 437 Transaktionen zurück.
Unter den Übernahmen der letzten beiden Jahre finden sich Marken wie AGFA, der Wäschehersteller Hunkemöller, die Onlineplattform gofeminin, das Hausportal Musterhaus, Thyssengas sowie die Aufzugsparte von Thyssenkrupp, der Keramikproduzent CeramTec sowie der Schuhhersteller Birkenstock (Quellen: EY PE-Deal Survey 2022 , KPMG Private Equity Deals). Während es 2021 vor allem Deals im Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation waren, hatten Investoren im vergangenen Jahr stärkeren Rendite-Hunger auf Übernahmekandidaten aus den Branchen Energie, Logistik, Infrastruktur und Konsumgüter, so die PwC-Erhebung.
Frustration und Wechselwunsch mit Zeitverzug
Womöglich sind die hohen Übernahmeaktivitäten ein Indiz und untermauern meine aktuelle Wahrnehmung im Coaching in Bezug auf die Wechselmotive meiner Klienten. Der zeitliche Verzug zum Höhepunkt der Transkationen würde jedenfalls gut passen. Denn viele meiner Klienten berichten mir, dass sie nach einer Übernahme langjährig fest im Sattel sitzend erst einmal abgewartet und die Veränderungen bei ihrem Arbeitgeber beäugt haben. Manche erzählen auch davon, dass sie bereits mehrere Eigentümerwechsel mitgemacht, Berater haben kommen und gehen sehen, jedes Mal eine neue Sau durchs Strategie-Dorf getrieben wird und sie nun die Nase voll von in ihren Augen falschen Management-Entscheidungen haben.
Nicht nur, dass nach dem Verkauf insbesondere mittelständischer oder sogar familiengeführter Unternehmen von heute auf morgen ein anderer Wind in der Organisation weht, auch die fehlende Identifikation mit ihrem Arbeitgeber als langjährig berufliche Heimat macht vielen der wechselwillig Langgedienten arg zu schaffen. „Früher war alles besser“ mag in diesem Alter abgedroschen und nach Resignation im Opfer-Modus klingen, ist für sie jedoch die gefühlte Wahrheit.
„Nicht mehr mein Arbeitgeber“ ist die Entscheidung
Im Coaching wird sehr schnell klar, dass für die meisten von ihnen fest entschieden ist, dem Arbeitgeber ihres Lebens nun und oft unerwartet doch vor Renteneintritt den Laufpass zu geben. Auf meine fast hypothetische Frage „Gibt es etwas, das sich verändern müsste, um dort noch eine Zukunft zu haben?“ ernte ich nicht mehr als ein stummes, resigniertes Schulterzucken. Auch wenn sie (noch) kein Abfindungsangebot auf dem Tisch haben, habe ich oft das Gefühl, dass sie längst innerlich gekündigt haben und womöglich auch bereits aus der Organisation herausgewachsen sind, die sich ohne sie weiterentwickelt hat.
Es ist müßig, nach Schuldigen zu fahnden oder die Frage zu stellen, wer sich oder etwas hätte anders entwickeln können oder müssen. Es passt jetzt schlicht nicht mehr. Oft gewinne ich auch den Eindruck, dass es bereits viele Jahre zuvor schon nicht mehr gepasst hat und die externe Veränderung etwa durch den Einstieg eines Investors das Fass nun zum Überlaufen gebracht hat.
„Hauptsache weg“ ist das Ziel, jedoch keine Lösung
Ich finde es persönlich immer wieder überraschend, dass besonders jene langjährig bei einem Arbeitgeber Beschäftigte oftmals die stärksten „Hauptsache weg“-Fluchtgedanken hegen, wenn sie mit mir über ihre berufliche Zukunft nachdenken möchten. Sie verdienen oft gutes Geld, sind sich ihrer Jobs aufgrund der Regelungen zum Betriebsübergang sowie ihrer langen Zugehörigkeit recht sicher (oder können auf eine fette Abfindung zählen), und sie sind in einem Alter, in dem sie eigentlich mehr überlegte Gelassenheit statt unreflektierter Aktionismus antreiben sollte. Dennoch sprechen wir darüber, ob eine Kündigung ohne neuen Job in der Tasche zu gewagt ist oder ich muss davor warnen, den nächstbesten Job blindlings und oftmals zudem unter ihrem Niveau anzunehmen.
Ich vermute, es ist in diesen Fällen der „externe Schock“ durch die zeitlich sehr punktuelle Übernahmeaktivität, die als Reflex einen ebenso schockartigen Veränderungsdrang auslöst. Vergleiche ich es mit vielen anderen Klienten, die zu mir kommen und das Gefühl haben, dass es irgendwie nicht mehr so richtig passt und sie irgendwann in den nächsten Monaten eine berufliche Veränderung anstreben möchten, so ist der innere Druck der „Das ist nicht mehr mein Arbeitgeber“-Klienten um ein Vielfaches stärker ausgeprägt. Das finde ich nachvollziehbar, birgt zugleich jedoch auch die Gefahr, im Schockzustand eine Fehlentscheidung zu treffen – wo wir dann wieder beim Blind Signing wären.
Kündigung und Jobsuche: Jetzt zählen Selbstfürsorge und Selbstschutz
Mir ist es in diesen Fällen besonders wichtig, im Coaching zwei Themen zu bearbeiten: Was zeichnet eine gute neue Zielposition sowie ein passendes Arbeitsumfeld für die nächsten Jahre aus? Und: Wie lässt sich die Zeit bis zu einem Wechsel beim aktuellen Arbeitgeber gesund gestalten? Gerade weil der gefühlte Veränderungsdruck bei den Betroffenen sehr hoch ist und gleichzeitig (!) ihre Arbeitsplatzsituation und finanzielle Absicherung überwiegend sicher sind, ist es umso wichtiger, den nächsten Schritt mit Bedacht und bewusst zu gehen.
Wir sprechen darüber, was eine gesunde Haltung ausmacht, die nächsten Monate erträglich im alten Job zu verbringen. Denn ich sehe, dass auch ein Jobwechsel Ü50 immer erfolgreich ist, jedoch oftmals mehr Zeit als bei jüngeren Bewerbern erfordert. Es ist entscheidend, den eigenen Fokus weg vom Schock der Übernahme und organisatorischen Veränderung hin zum eigenen „Projekt Jobwechsel“ zu lenken. Manchmal rate ich sogar zu Dienst nach Vorschrift, um die noch vorhandenen Ressourcen stärker für die eigene Zukunft zu nutzen. Denn jetzt geht es vor allem um Selbstfürsorge: Bewusst mehr von dem zu tun, das Kraft gibt – im Privat-und Berufsleben.
Auch wenn finanzielle Sicherheit für viele Jobwechsler in diesem Alter nicht mehr die oberste Priorität hat, so ist ihnen Zukunftssicherheit umso wichtiger. Zu wissen, dass ein neuer potenzieller Arbeitgeber solide, mit Substanz und strategisch gut aufgestellt ist sowie die Gefahr gering ist, dass auch dort morgen der nächste Investor anklopft oder gar die Insolvenz bereits vor der Tür lauert.
Dies alles ist in Vorstellungsgesprächen schwierig in Erfahrung zu bringen, doch wer mit entsprechenden Fragen im Gepäck in die Gespräche geht, kann ein gutes Gefühl hierfür entwickeln. Sprechen Sie offen darüber, was Ihre Beweggründe sind, den bisherigen Arbeitgeber zu verlassen – natürlich ohne Lästerei. Sprechen Sie genauso über Ihre Erwartungen an einen neuen Arbeitgeber, die aus Ihrer erlebten Erfahrung mitschwingen, um bewusst die Reaktionen Ihrer Gesprächspartner zu beobachten sowie zu bewerten. Damit aus „Das ist nicht mehr mein Arbeitgeber“ keine Flucht, sondern eine bewusste Entscheidung für eine neue berufliche Heimat wird.
Was sind Ihre Erfahrungen? Haben auch Sie schon den Verkauf Ihres Arbeitgebers an einen Investor erlebt und gespürt, was dies in der Organisation verändert hat? Teilen Sie Ihre Erfahrungen oder Meinung zum Thema gerne in den Kommentaren.