Warum Du mit Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch nur gewinnen kannst
Kommen Jobwechsler zu mir, um ein Bewerbungsgespräch vorzubereiten, dann steht vielen von ihnen die Angst ins Gesicht geschrieben. Wieviel Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch ist geboten, was sind die erwünschten Antworten auf die typischen Personalerfragen und wann ist es ok, mit gutem Gewissen etwas zu verheimlichen? Viele Jobwechsler befürchten, dass sie zu viel Ehrlichkeit aus dem Rennen kickt und der Traum vom neuen Job endet. Wenn du mir schon länger folgst, dann weißt du, dass ich ein Fan von Klarheit im Bewerbungsprozess bin. Hier sind 5 Themen, über die du ehrlich sprechen darfst und zu deinem Selbstschutz auch sprechen solltest.
„Besser nicht zu viel preisgeben“ ist eine Denkfalle
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Jobwechsler umso „verdorbener“ für meinen Ansatz für mehr Klarheit und Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch sind, je mehr Gespräche sie bereits erleben durften. Sie haben immer wieder aufs Neue hart trainiert, beim nächsten Mal wirklich ihre auswendig gelernte Selbstpräsentation echt authentisch auf die Kette zu bekommen, die perfekt erwünschte Antwort auf die Schwächen-Frage wie aus der Pistole geschossen abfeuern sowie alle Körpersprache-Tipps und Benimm-Regeln routiniert beherzigen zu können.
Bereits eine schlechte Erfahrung aus einem Bewerbungsgespräch als gefühltem Verhör mit abgelutschten Standardfragen oder der unsympathisch wirkenden Führungskraft, die eine Mischung aus Kumpel-Typ und Big Boss abgegeben hat reichen aus, um die eigene Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch an den Nagel zu hängen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell Bewerberinnen und Bewerber von einem vermeintlich negativen Erlebnis auf unumstößlich alle zukünftigen Bewerbungsgespräche schließen.
Doch je stärker sie über all dies meckern und Personaler mehr als Bewerberfeind statt als Menschenfreund ansehen, umso stärker verschließen sie sich in den Gesprächen und umso mehr wird aus einem lockeren Dialog auch auf Bewerberseite ein steifes Frage-Antwort-Spiel. Derart verunsichert und eingeschüchtert siegt ihre Erkenntnis, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss und jede eigene Nachfrage zum Job der fatal ausschlaggebende Grund für eine Absage sein wird.
„Besser nicht zu viel verraten“ ist der sichere Glaubenssatz der meisten verunsicherten Bewerber, denen ich im Coaching begegne. Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch wird zum todsicheren Ablehnungsgrund erklärt und ist fortan und für alle Zeiten tabu. Ein Denkfehler, der mit jeder neuen Absage tiefer in die Irre führt.
Wer sich richtig greifbar macht, macht es Recruitern leichter
Wer im Vorstellungsgespräch zu wenig von sich preisgibt, der bleibt für Arbeitgeber wortwörtlich unbegreifbar. Wie können Recruiter, Führungskräfte und vielleicht auch potenzielle neue Kolleginnen und Kollegen im Team eine gute Entscheidung treffen, wenn sie über dich als Bewerberin oder Bewerber als Menschen im gemeinsamen Gespräch kaum etwas individuell Persönliches erfahren?
Viele Jobwechsler schimpfen bei mir lautstark darüber, dass die Arbeitgeber von heute nur noch eierlegende Wollmilchsäue suchen, doch gleichzeitig sind auch sie es, die es für viel zu gefährlich einstufen, ehrlich den Menschen hinter ihrem Lebenslauf zu präsentieren.
Daher möchte ich dich hier und heute wieder einmal dazu ermutigen, die Angst vor falschen Antworten oder vor zu vielen Informationen über dich beim nächsten Gespräch hintenan zu stellen. Meine Erfahrungen aus der Arbeit mit Bewerben sind eindeutig: Je mehr Klarheit durch Ehrlichkeit du im Bewerbungsgespräch schaffst, je wortwörtlich selbst bewusster du das Gespräch führst und je neugieriger und offener du deinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe begegnet, umso stärker und sympathischer wirkst du und umso leichter können Recruiter und Führungskräfte ihren Job machen und eine gute Entscheidung treffen, ob du zur ausgeschriebenen Position, in das vorhandene Team und in die Unternehmenskultur passt.
Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch ist die Brücke zwischen deinem echten Ich und dem Job, der wirklich zu dir passt.
Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch: 5 Fakten, die dein neuer Arbeitgeber über dich wissen sollte
Hier sind jene fünf Themen, über die sich die meisten Bewerberinnen und Bewerber nicht trauen, in Bewerbungsgesprächen offen und ehrlich zu sprechen. Dabei sind alle diese Informationen extrem wichtig für eine gute Passung und eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Zukunft:
1. Warum du wirklich wechseln möchtest
„Darf ich denn ehrlich verraten, was mich an meinem aktuellen Arbeitgeber nervt oder was der wahre Grund für meine Kündigung war?“ oder „Darf ich sagen, dass mir betriebsbedingt gekündigt wurde und ich das lukrative Angebot für einen Aufhebungsvertrag angenommen habe?“ sind Fragen, die mir Bewerberinnen und Bewerber häufig stellen. Sie stecken fest zwischen der goldenen Regel, nicht schlecht über einen (Ex-)Arbeitgeber sprechen zu dürfen und der Angst, gekündigt, freigestellt oder mit dem Stempel „arbeitslos“ im Markt weniger wert zu sein. Selbst derart harmlose und menschlich verständliche Wechselmotivationen, wie etwa fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, chronische Unterforderung oder schlicht der Wunsch, wieder einen Arbeitgeber in der alten Heimat zu finden werden kritisch auf ihr Gefahrenpotenzial im Gespräch hin analysiert – und im Zweifel lieber verschwiegen.
Na klar, du solltest nicht über deinen dummen Ex-Chef herziehen oder als das arme Opfer im Detail erläutern, wie krank es zuletzt im Team zugegangen ist. Mein Tipp: Bleibe bei dir und sprich darüber, was dir persönlich im Job oder im Team zuletzt gefehlt hat und für die Zukunft wichtig ist, oder – falls dir gekündigt worden ist, was die Gründe hierfür waren. Sowohl die betriebsbedingte Kündigung oder auch ein „Es hat für mich im Team nicht mehr gepasst“ oder „Ich konnte mich mit der strategischen Ausrichtung des neuen Managements nicht mehr identifizieren“ sind ehrliche Wahrheiten, die nicht nur jeder neue Arbeitgeber verstehen wird, sondern du so vor allem deinen Gesprächspartnern die Möglichkeit gibst, über deinen Lebenslauf hinaus mehr über dich und das, was dir wichtig ist, zu erfahren.
2. Was du von deiner zukünftigen Führungskraft erwartest
„Ist das nicht zu gewagt, so früh schon meine Erwartungshaltung einem neuen Chef gegenüber offen zu äußern? – Schließlich will ich ja etwas von denen“ ist womöglich auch der erste Gedanke, der dir durch den Kopf schießt. Dabei ist es in vielen Fällen gerade die Beziehung zur eigenen Führungskraft oder die Führungskultur in einem Unternehmen, die besonders gute Mitarbeiter irgendwann in die Flucht schlägt. Wäre es dann nicht äußerst sinnvoll, bereits im Vorstellungsgespräch auch über die eigenen Vorstellungen von guter Führung zu sprechen? Die Chance im Gespräch zu nutzen, mit deiner zukünftigen Chefin oder deinem potenziellen Chef offen über alles das zu sprechen, was du von ihr oder ihm in dieser Rolle erwartest und benötigst, um dort einen guten Job zu machen und gesund zu bleiben.
Vielleicht ist es dir nicht bewusst, doch uns allen ist etwas anderes für gute Zusammenarbeit wichtig: Manche benötigen feste Leitplanken und den sicheren Halt einer Führungskraft, für andere kann die Leine nicht lang und das Abenteuer im Beruf nicht wild genug sein. Einige wünschen sich Führungskräfte als fachliche Sparringspartner auf Augenhöhe, andere brauchen die klare Anweisung, um entspannt korrekt ihren Job zu machen. Manche Angestellte sind froh, wenn sie ihren Chef über Wochen nicht zu Gesicht bekommen und sie einfach in Ruhe ihren Job machen können, andere wünschen sich das täglich kurze Feedback, um zu wissen, wo sie dran sind.
Was ist dir wichtig, wenn du an deine zukünftige Führungskraft bei einem neuen Arbeitgeber und an deine gute Form einer Zusammenarbeit denkst? Meine Beispiele zeigen, dass es hierfür keine allgemeingültig richtige Antwort gibt, wie Führung zu sein hat und was Mitarbeitende von ihren Führungskräften erwarten, sondern es je nach Persönlichkeit und eigenen Stärken immer individuelle Ansichtssache ist.
Gibt es wirklich etwas, das dagegen spricht, deinem zukünftig möglichem Chef im Vorstellungsgespräch etwa zu sagen, dass du von ihr oder ihm etwas lernen möchtest, den fachlichen Austausch sehr schätzt und dir ebenso wünschst, eine klare Richtung im Tagesgeschäft vorgegeben zu bekommen? Ich als Chef wäre beeindruckt, wie reflektiert du bist ist und könnte sofort ein Gefühl dafür entwickeln, ob wir gut zusammenarbeiten werden.
3. Worin du echt schwach bist
Puh, ja, ich weiß, diese Frage nach den Schwächen nervt. Aber ganz ehrlich, ich verstehe auch jeden Personaler, der von euren Antworten „Ich bin perfektionistisch, ungeduldig und habe eine Schwäche für Schokolade“ mehr als genervt ist.
Ich finde dieses Thema dennoch extrem wichtig, denn abseits der aus den konservativen Bewerbungsratgebern auswendig zu lernenden Antwort-Floskeln wäre es doch super hilfreich, vor Jobantritt darüber zu sprechen, was du bezogen auf eine Position und ihre Aufgaben heute noch nicht so gut kannst und wo du dich erst einarbeiten musst. Offen über deine wahren Stärken und alles das, was dir leicht fällt genauso zu sprechen wie darüber, wofür du viel Energie investieren musst, damit es gut wird. Sprich auch darüber, was so gar nicht deins ist und es schrecklich wäre, wenn es sich als großer Bestandteil deines künftigen Jobs entpuppen würde.
Ich erlebe im Coaching so viele Menschen, die in Jobs stecken, die ihnen schwerfallen und keine Freude machen. Weil der nach seinem Studium zufällig ins Controlling Gerutschte nicht gut mit Zahlen kann, sondern stärker der Kreative ist. Weil die strategisch-konzeptionelle Denkerin seit Jahren in einem Job verhaftet ist, in dem ihr Erfolg am täglich reibungslosen Routine-Einerlei gemessen wird.
Wer in der Rolle als Bewerberin oder Bewerber im Gespräch mit potenziellen Arbeitgebern nicht offen über seine wahren Stärken und Schwächen spricht, der darf sich später angekommen im Job nicht wundern, nicht gut darin, maßlos über- oder unterfordert und so wenig erfolgreich zu sein.
4. Wie du im normalen Leben so drauf bist
Viele Menschen versuchen in der Rolle als Bewerber, ihr wahres Ich zu vertuschen. Nicht, dass Personaler durch ihre fiesen Fangfragen oder Psycho-Spielchen herausbekommen, wer sich hinter der professionellen Fassade eines Bewerbers wirklich verbirgt – so mein Gefühl, wenn ich von Klienten erfahre, mit welcher Haltung sie in Bewerbungsgespräche hineingehen. Sie trainieren ihr Schauspiel und hoffen, nicht durchschaut zu werden.
Wie anstrengend und noch dazu kontraproduktiv, wenn du als Bewerberin oder Bewerber Menschen gegenüber sitzt, die ein echtes Interesse daran haben, dich als Mensch kennenzulernen – und davon gehe ich immer aus, wenn Recruiter Einladungen zum Vorstellungsgespräch aussprechen. Keine Frage, dass auch auf deren Seite immer wieder eine Menge Schauspiel mit im Spiel ist, doch es ihnen gleich zu tun, ist für dich als Bewerber oder Bewerberin nicht die Lösung, sondern wird zum Teil deines Problems, weiter systematisch Absagen zu kassieren.
Wir können nicht jedem gefallen und wir können es nicht jedem Recht machen. Manche Menschen sind uns sympathisch, bei anderen haben wir ein dumpfes Bauchgefühl oder spüren sogar Abneigung. Es ist verrückt anzunehmen, in einem Bewerbungsgespräch den perfekten Kandidaten spielen zu können. Du weißt nicht, welcher „Typ“ für diese Position, Aufgabe und Rolle gesucht wird. Ist es die heimliche Chefin im Team, die ihren Kolleginnen und Kollegen auch mal sagen kann, wo es lang geht oder mehr der Harmonische, der im Team moderierend für Ausgleich sorgt? Ist es die chaotisch Kreative, die neue Ideen ins Team einbringt oder doch der Aufgeräumte, der Strukturen liebt und Ordnung schafft? Ist es der extrovertiert Kommunikative, der die Aufmerksamkeit im Rampenlicht braucht oder die ruhige Beobachterin, die aus der zweiten Reihe heraus stark ist?
Du weißt es schlicht als Bewerberin oder Bewerber nicht, wen sie suchen und so kann es im gemeinsamen Gespräch doch nur darum gehen, genau dies zu ergründen und zu besprechen, ob du diejenige oder derjenige bist, die oder der einen großen Anteil dieser Stärken und Persönlichkeit mitbringt. Sei im Bewerbungsgespräch und dort in deiner Rolle du selbst. Denn genau du bist es, den deine Gesprächspartner als neue Kollegin oder neuen Kollegen entdecken möchten.
5. Was deine wahren beruflichen Ziele sind
„Wo siehst du dich in fünf Jahren?“ lautet die abgedroschene und bei vielen Bewerbern verhasste Frage. Schließlich sollte man als ehrgeizig motivierter Kandidat ambitionierte Ziele im Leben besitzen sowie an Karriere, Aufstieg und Entwicklung interessiert sein – auf der anderen Seite darf man allzu ambitioniert der künftigen Führungskraft auch nicht am eigenen Stuhl sägen – davor wird zumindest immer gewarnt. Es ist eine Frage, bei der gefühlt jede Antwort entweder als gefährliches Fettnäpfchen oder erwartungsgemäß unerwünscht erscheint.
Doch wie bei allen anderen Themen hier ist auch dieser Aspekt aus meiner Erfahrung entscheidend wichtig für eine gute Zusammenarbeit in den nächsten Jahren. Trittst du als neuer Mitarbeiter an, um zufrieden einen guten Job zu machen und das Geld zu verdienen, das du für die Abbezahlung des Hauses oder das Wohlergehen deiner Familie benötigst, dann ist dies genauso wichtig für einen neuen Arbeitgeber zu erfahren, wie deine Ambitionen, dich möglichst schnell intern zu entwickeln und eine steile Karriere machen zu wollen. Jeder Arbeitgeber wünscht sich, gute Mitarbeiter zu binden und lange zu halten. Zu wissen, was deine persönlichen Erwartungen und Ziele für die Zukunft sind, ist daher auch eine wichtige Information.
Vielen meiner Klientinnen und Klienten fehlen die Entwicklungsperspektiven bei ihrem aktuellen Arbeitgeber und sie suchen daher gezielt den Wechsel. Es wäre dumm, mit einem neuen Arbeitgeber nicht genau darüber zu sprechen und zu klären, was für dich eine gesunde Zukunft im Beruf und eine gute Entwicklung innerhalb einer Organisation ausmachen.
Mit Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch sind auch Absagen ein gutes Ergebnis
Ich gehe heute in meiner Rolle als Karrierecoach so weit, dass ich Jobwechslern sage, dass jede Absage nach einem ehrlichen Kennenlernen auch ein gutes Ergebnis ist. Natürlich kann jede Absage Träume vernichten, enttäuschen und am Selbstbewusstsein nagen. Und vermutlich ist auch bei dir die Enttäuschung groß, nach einem Gespräch zu erkennen, dass es nicht der Job ist, den du dir vorgestellt hattest. Doch ist nicht genau dies der Sinn und Zweck eines guten Gesprächs als Kennenlernen zwischen dir und einem potenziellen Arbeitgeber? Herauszufinden, ob ihr für die nächsten Jahre gut zusammenpasst. Und falls es nicht passt, dann ist auch dies eine überaus wertvolle Erkenntnis – für beide Seiten.
Sprecht also über gegenseitige Erwartungen, was gute Zusammenarbeit und gesunde Führung betrifft. Besprecht gemeinsam, ob dir die Aufgaben und Rolle liegen oder was dir vielleicht auch noch fehlt, damit du darin stark bist und einen Mehrwert für das Unternehmen schaffst. Sprich offen und ehrlich über deine persönlichen Wertevorstellungen und alles das, was dir im Beruf heute und in Zukunft wichtig ist. Frage deine zukünftige Führungskraft, woran sie oder er ganz konkret festmachen wird, dass du dort einen guten Job machst.
Je ehrlicher ihr über alle diese und weitere Themen sprecht, umso besser kannst nicht nur du dich selbst vor dem miesen und ungesunden Job für die nächsten Jahre oder einer Kündigung in der Probezeit schützen, sondern umso klarer, reflektierter und damit selbstbewusster kommst du ganz nebenbei im Gespräch rüber. Und am Ende machst du es deinen Gesprächspartnern leichter, eine gute Entscheidung für das Team und das Unternehmen zu treffen – wie auch immer diese ausfällt.
Ehrlichkeit hat Grenzen: Unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch
Auch wenn ich in diesem Beitrag für ein hohes Maß an Ehrlichkeit werbe, bleibst du als Chefin oder Chef deines eigenen Lebens natürlich selbst in der Verantwortung und entscheidest, welche persönlichen Themen oder Hintergründe zu deinem Lebenslauf für dich im Gespräch Raum haben.
Keine Frage, es gibt Fragen im Bewerbungsgespräch, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz untersagt sind. Hierzu zählen u. a. Fragen zum Familienstand, deiner sexuellen Orientierung, deinem aktuellen Gesundheitszustand oder Krankheiten in der Familie, eurer Familienplanung oder einer Schwangerschaft, Fragen zu deiner Religionszugehörigkeit sowie zu Partei- sowie Gewerkschaftsmitgliedschaften. Natürlich sind auch Fragen zum Privatleben oder deiner Vermögenssituation tabu. Wie so oft gilt jedoch auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme, denn wenn es die jeweilige Stelle erfordert, sind bestimmte Fragen doch erlaubt – wie etwa nach Vorstrafen bei einem Juristen, der sich in einer Anwaltskanzlei bewirbt.
Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch hat auch ihre Grenzen. Schaffe dort Klarheit, wo du dich mit gutem Gefühl für einen Arbeitgeber greifbar und so im Vergleich zu anderen Bewerbern einen Unterschied machen kannst. Klarheit schafft Sicherheit – auch zu deinem Selbstschutz als Bewerberin oder Bewerber, dich gezielt für einen Job sowie für ein Arbeitsumfeld zu entscheiden, die wirklich zu dir passen. Sprich jedoch auch offen und ehrlich über dein Gefühl und verweigere die Antwort, wenn du auf zu persönliche oder gar unzulässige Fragen nicht eingehen möchtest. Du entscheidest für dich und zu jedem Zeitpunkt, mit welcher Dosis Ehrlichkeit du dich in einem Bewerbungsgespräch wohlfühlst.
(Titelbild generiert mit OpenAI’s DALL-E)
Hallo,
toller Artikel, danke.
Teilweise bin ich gleicher Meinung. Aber nur zum Teil. Ich hatte tolle Stellen in Aussicht und habe spätestens beim dritten Gespräch erwähnt, dass ich 50%GdB habe. Und schwupps, hat man an meinen Fähigkeiten gezweifelt.
Ein Bereichsleiter hat es in einem Konzern sogar ausgesprochen. Wieso sollte er sich unnötig Stress machen, wenn er zum gleichen Preis jemanden ohne Krankheit bekommen kann.
Klar war ich dankbar dass ich da nicht angefangen habe, aber wenn der Stapel der Absagen wächst, ist die Ehrlichkeit vielleicht doch nicht erwünscht.
Gruß Michael
Lieber Dr. Slaghuis,
ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Artikel, denn ich teile Ihre Meinung – in einem Vorstellungsgespräch geht es für beide Seiten nicht nur darum, ob die technischen Fähigkeiten vorhanden sind, sondern viel mehr auch darum, ob der Mensch in das Team und zur Führungskraft passt. Schliesslich verbringt man viel Zeit mit seinen Kollegen, und wenn die Chemie nicht stimmt wird es für beide Seiten sehr anstrengend. Ich habe oft das Gefühl, dass dieser Aspekt totgeschwiegen wird, da man ja auch als Führungskraft angehalten ist, sich nicht von persönlichen Vorlieben leiten zu lassen. Aber sind wir mal ehrlich: wenn die persönlichen Erwartungen von Führungskraft und Bewerber/in zu verschieden sind, wird es wohl kaum zu einer erfolgreichen und produktiven Zusammenarbeit kommen.
Es erfordert natürliche eine Menge Mut und Stärke, um als Bewerber/in authentisch zu bleiben, auch wenn man vielleicht bereits spürt dass es dadurch zu einer Absage kommen wird. Das ist aber in den meisten Fällen immer noch besser, als einen neuen Job anzutreten, in dem man nicht glücklich ist – und wenn man sich das bewusst macht, nimmt es den Absagen auch ein wenig den Schrecken.
Meiner Erfahrung nach geht es überhaupt viel mehr darum, wer man als Mensch ist und weniger um fachliche Dinge. Sich anpassen und gefallen zu wollen, ist zwar verständlich, aber die falsche Strategie. Keine Angst haben und sich so zeigen wie man ist, hilft viel besser, dass sich die richtigen Menschen finden.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Hier kann ich jedoch nur zum Teil zustimmen.
Ehrlichkeit und Klarheit sind sehr wichtig für mich – jedoch von BEIDEN Seiten und auf Augenhöhe! Und: ICH bestimme mit, was Gesprächsinhalt ist – und was nicht ;-)
In der Vergangenheit habe ich (und nicht nur einmal) die Erfahrung gemacht, daß Ehrlichkeit von Seiten der „Entscheidungsträger“ in Unternehmen häufig nicht oder nur rudimentär vorhanden ist. Paradoxerweise wird diese jedoch vom Kandidaten (welcher häufig immer noch „Bewerber“ genannt wird ;-) im Gespräch eingefordert. Hier handelt es sich um eine selektive und einseitige „Ehrlichkeit“ nach dem Motto: „SIE müssen (!) uns alles erzählen, auch das, was im CV „zwischen den Zeilen steht“ – und im Gegenzug wird es beispielsweise mit keinem Wort erwähnt, daß das Unternehmen kurz vor der Insolvenz steht und bereits vor einem dreiviertel Jahr Kurzarbeit angemeldet hat (dieser Fall ist mir in der Vergangenheit leider tatsächlich passiert).
Ich folge Ihrem Blog aufmerksam und möchte an dieser Stelle dafür danken, daß Sie sich stets für „Gespräche auf Augenhöhe“ aussprechen und dafür gute Argumente liefern. Jedoch gehört es auch zu einem derartigen Gespräch, daß der Kandidat sagen darf: „Bis hierher und nicht weiter! Ihre Frage ist in keiner Weise dazu angetan, herauszufinden, ob mein Profil zur Vakanz passt (oder umgekehrt ;-)!“ In anderen Worten: „Ihre Frage ist weder sinnvoll noch zielführend“. Natürlich sage ich das meistens nicht so direkt, sinngemäß läuft es jedoch darauf hinaus.
„Inquisitorische Fragestellungen“ dienen nach meiner Erfahrung nur einem Ziel: Die Position des Kandidaten (so weit wie irgend möglich) zu schwächen und anschließend das Gehalt (so weit wie irgend möglich) „nach unten zu verhandeln“. Eine derartige „Vorgehensweise“ findet man IMHO vor allem bei Unternehmen, welche sich bereits „auf dem absteigenden Ast“ befinden – oder auch häufig bei inhabergeführten Mittelständlern (meistens auf dem Lande), welche immer noch ein Gebaren („nach Gutsherrenart“) wie vor 30 Jahren an den Tag legen.
Derartige Unternehmen bieten häufig Gehälter am unteren Ende des regionalen Gehaltsniveaus an. Leider neigen Bewohner von abgelegenen Gegenden zu einem gewissen „Scheuklappendenken“ nach dem Motto: „Hier gibt es ja nichts Anderes“. Wenn ich beim elektronischen Bundesanzeiger in den jeweiligen Jahresabschluss hineinschaue, sehe ich häufig (paradoxerweise ;-), daß ein deutlich zu niedriges Gehaltslevel bei den Mitarbeitern nicht selten zu einem großen (finanziellen) Reichtum bei der Inhaberfamilie geführt hat :-/ Leider geht dieser anscheinend häufig mit geistiger Armut einher… ;-)
Resumée: Bei „inquisitorischen Fragestellungen“, vor allem wenn sie trotz eines Hinweises meinerseits mehrfach wiederholt werden, gibt es für mich aus den oben genannten Gründen nur eine „Variante“: Das Gespräch so schnell wie möglich, ordentlich und höflich zu Ende bringen, optional auch unter Verweis auf die unpassende Gesprächsführung. Und anschließend SELBST eine Absage schreiben!!! Viele Unternehmen (beziehungsweise die „Entscheidungsträger“ derselbigen) sind nach meiner Erfahrung immer noch nicht an Absagen vom „Bewerber“ gewöhnt ;-)
Traut Euch – sie werden sich daran gewöhnen müssen ;-) Und vielleicht werden dann irgendwann mal keine „Vorstellungsgespräche wie vor 30 Jahren“ mehr geführt :-)
Ein Absage, weil ich das „Falsche“ gesagt habe, kann das für mich bestmögliche Ergebnis sein, kann meine Gesundheit retten. Zum Beispiel dann, wenn der Arbeitgeber einen Untertan sucht, der blinden Kadavergehorsam leistet. In diesem Fall liegt es in meinem Interesse, deutlich zu sagen, dass ich nicht dieser Untertan bin.
Das gilt auch, wenn diese Bewerbung die einzige Chance ist. Es gibt Schiffe, auf denen ist man noch schlechter aufgehoben, als auf dem Meeresgrund. Solche Unternehmen können nur deswegen existieren, weil verzweifelte Bewerber jedes Übel hinnehmen.
Weil ich zu lange in so einer Firma gearbeitet habe, war ich viele Jahre zu krank, um überhaupt noch arbeiten zu können. Das so eine Erfahrung absolut tödlich für das Vertrauen zu späteren Führungskräften ist, auch solchen, die Vertrauen verdienen, versteht sich von selbst.
Manchmal muss man endgültig aufgeben, um dann mit dem Mut der Verzweiflung auf vermeintlich riskantem Weg zum Ziel zu kommen.
Erst als ich in der Überzeugung, dass ich sowieso keine Chance habe, alle „Wie mache ich einen guten Eindruck“-Strategien in die Tonne getreten und Klartext gesprochen habe, hat es mit dem Job geklappt. Gleich beim ersten Vorstellungsgespräch.