Elternzeit im Lebenslauf: Vergiss die Karrieretipps und lebe Dein Leben
Immer wieder stolpere ich über Karriere- und Bewerbungstipps, wie vor allem Frauen mit einer Elternzeit im Lebenslauf umgehen sollten – oft im Zusammenhang mit dem Begriff „Karriereknick“. Der Tenor ist, die Elternzeit müsse „richtig in Szene gesetzt“ und im Lebenslauf mit Aktivitäten gefüllt werden, die eine berufliche Weiterentwicklung beweisen.
Dies könnten etwa Weiterbildungen, ehrenamtliche Tätigkeiten oder die Organisation von Kindergruppen während der Elternzeit sein, lese ich hier. Es gehe um den Beweis, die Elternzeit „produktiv genutzt“ und weiterhin berufliche Fähigkeiten entwickelt zu haben. Dies erhöhe die Chance, dass Arbeitgeber die Elternzeit als wertvolle Erfahrung anerkennen. Auch die Karrierebibel rät, die „Familienphase aufzuwerten“ und Aktivitäten anzugeben, die für den angestrebten Job relevant sind. Als Beispiele werden der Besuch von Sprachkursen oder der eigene Podcast zum beruflichen Thema genannt.
Mehr Lebenslauf-Hygiene als Eltern-Zeit
Mich stört bei diesen Ratschlägen die pauschale Annahme, dass eine Elternzeit als berufliche Auszeit den Wert eines Menschen im Berufsleben mindert. Und schaue ich in viele Karriere-Ratgeber hinein, dann ist es egal, ob wir über die Elternzeit, eine krankheitsbedingte Auszeit oder ein längeres Sabbatical sprechen: Es geht immer darum, im Lebenslauf zu beweisen (!), dass eine Auszeit irgendwie auch beruflich für etwas nützlich war.
Es geht um Rechtfertigung und pure Lebenslauf-Hygiene:
„Lieber Arbeitgeber, schau her, schon vier Wochen nach der Geburt unserer Zwillinge habe ich den Gruppenplan der Kita mit KI-Technologie digitalisiert, war 1. Vorsitzende des Elternbeirats und kann nun fließend Chinesisch sprechen. Wenn das kein Grund ist, die vorher versprochene Beförderung mit meiner Rückkehr sofort umzusetzen.“
Ja, ich übertreibe (das hoffe ich zumindest), doch ist es nicht genau diese Sicht, die heute den gesellschaftlichen Druck sowie in der Konsequenz auch solche Tipps für das vorbildliche Befüllen von Unterbrechungen eines Berufslebens im Lebenslauf entstehen lassen?
Wer in seiner Elternzeit nichts außer Erziehung geleistet hat, der hat an Wert in der Arbeitswelt verloren und es schwerer, wieder im Beruf Fuß zu fassen – geschweige denn seine Karriere auf altem Pfad fortzuschreiben. So wirken die Warnungen vor dem „Karriereknick“ samt Ratschlägen für den lupenrein professionellen Lebenslauf zumindest auf mich.
Diskriminierung findet statt und ist inakzeptabel
Bevor hier nun Stimmen laut werden, dass ich eine Diskriminierung von Müttern oder Vätern durch Arbeitgeber für nicht existent oder den „Karriereknick“ nach einer Elternzeit zum Mythos erkläre, dem ist nicht so.
Sicher gibt es Arbeitgeber, die eine Abwesenheit taktisch hinter dem Rücken ihrer in Elternzeit befindlichen Mitarbeitenden nutzen, um neue Strukturen im Team zu schaffen, wie etwa die Beförderung des Kollegen vorbei zum neuen Chef, während die Anwärterin auf den Posten zuhause Windeln wechselt.
Und sicher gibt es auch Recruiter, die nach zwei Jahren Elternzeit Zweifel hegen, ob sich jemand schnell wieder in ein Team oder die Prozesse in einer Organisation einfinden kann. Natürlich zahlt die Zeit während einer Elternzeit nicht auf die Summe der Jahre Berufserfahrung auf dem Papier ein. Doch wer insbesondere berufserfahrenen Arbeitnehmern nach einer Elternzeit weniger Wert beimisst, der vergisst die in dieser Zeit neu hinzugewonnen Soft-Skills.
Und ja, auch die verbotenen Fragen nach der Familienplanung oder Betreuungssituation von Kindern werden immer noch hier und da in Bewerbungsgesprächen gestellt. Junge Mütter werden gefragt, wie sie ihre Arbeitszeiten bei Krankheit eines Kindes sicherstellen, junge Väter bekommen solche Fragen nicht zu hören. Gleichzeitig sitzen mir Männer im Coaching gegenüber und sind frustriert, weil ihnen für die Quote eine Frau bei der Beförderung vorgezogen wurde.
Diskriminierung, verbotene Fragen in Vorstellungsgesprächen sowie als ungerecht empfundene Besetzungs- oder Beförderungstaktik finden in unserer Arbeitswelt statt – manchmal für die Betroffenen sogar erschreckend offensichtlich. Das ist schlimm und inakzeptabel in einer Zeit, in der sich Organisationen mit Diversity, New Work und Nachhaltigkeit grünwaschen.
Lebenslauf-Hygiene ist nicht die Antwort auf Diskriminierung
Müssen sich frisch gebackene Mütter oder Väter aus diesem Grund nun dafür erklären und rechtfertigen, wie sie eine Elternzeit neben der Erziehung zusätzlich beruflich genutzt haben, weil manche Arbeitgeber Kandidaten bevorzugen, die eine solche Lebenslauf-Hygiene betreiben?
Oder setzen sich junge Eltern selbst unter Druck, weil sie und ihr Umfeld solche Weisheiten lesen und es in ihren Köpfen zum sicheren Glaubenssatz geworden ist, dass eine gute Elternzeit mehr als nur „Eltern-Zeit“ zu sein hat?
Wir sprechen aktuell immer häufiger vom Arbeitnehmermarkt und dem, was sich Bewerberinnen und Bewerber im Arbeitskräftemangel alles herausnehmen können. Doch ich habe den Eindruck, dass diese gestärkte Haltung noch nicht bei all jenen Themen angekommen ist, die etwas mit Auszeiten oder Lücken im Lebenslauf zu tun haben. Hier scheinen immer noch Vertuschung, Schönfärberei oder – wenn es offensichtlich ist – Rechtfertigung die Strategien der Wahl zu sein.
Ich bin der Meinung, dass sich niemand für den Lauf seines Lebens zu rechtfertigen hat. Keine Zeit ist es wert, vertuscht oder schöngefärbt zu werden, denn jede Zeit hat ihren Wert. Ebenso die Elternzeit – auch ganz ohne Sprachkurs oder Ehrenamt.
Elternzeit im Lebenslauf: Klarheit statt Rechtfertigung
Es gibt Menschen, denen es wichtig ist, während einer Elternzeit am Ball zu bleiben, vielleicht auch den engen Kontakt zu ihrem Arbeitgeber zu halten. Anderen gibt es etwas, in dieser Zeit Neues zu lernen und sich mit für sie spannenden fachlichen Themen weiter zu beschäftigen. Wieder andere möchten den Fokus voll auf die Kindererziehung und die Zeit mit der Familie legen. Ich finde, dies alles ist gleich in Ordnung und muss erlaubt sein.
Ja, es gibt sicher Arbeitgeber, die der Meinung sind, eine Elternzeit müsse mit beruflichen Themen aufgewertet und im Lebenslauf gekonnt professionell „in Szene gesetzt“ werden, um im Arbeitsmarkt noch anschlussfähig zu sein. Es gibt jedoch auch andere Arbeitgeber, die es verstehen und wertschätzen, wenn sich jemand konsequent auf die Familie fokussiert hat und im Lebenslauf darüber schreibt, wie die Erziehungszeit geprägt hat. Für wiederum andere ist es nicht entscheidend für die Bewertung eines Lebenslaufs.
Es geht mir um Klarheit statt Rechtfertigung. Um die eigene Klarheit, was für Dich persönlich eine gute Eltern-Zeit ausmacht. Bist Du hierüber für Dich klar und mit Dir selbst im Reinen, dann wirst Du diese Klarheit mit Gelassenheit auch im Außen etwa bei Arbeitgebern schaffen können.
Bei jeder Bewerbung geht es darum, dass ein potenzieller Arbeitgeber etwas über den Menschen hinter einem PDF-Dokument erfährt, um bewerten zu können, ob eine Zusammenarbeit passt – oder auch nicht. Ist es Dir wichtig, während der Elternzeit Sprachen zu lernen oder regelmäßig Weiterbildungen zu besuchen, dann sagt dies etwas über Dich aus. Genauso sagt es etwas aus, wenn Dir Fokus und Konsequenz wichtig sind und Du die Elternzeit ausschließlich für die Familie genutzt hast. Beides ist in Ordnung, doch mit dieser Klarheit kann ein Arbeitgeber leichter eine Entscheidung treffen, wer besser zum Job oder ins Team passt.
Jeder „Karriereknick“ ist eine Frage der Perspektive
Die Geburt eines Kindes verändert wie jedes prägende Lebensereignis den Blick auf das eigene Leben. Das sehe ich, wenn mir frisch gebackene Mütter oder Väter im Coaching gegenübersitzen und so etwas sagen, wie „Bisher war ich sehr erfolgsgetrieben und karriereorientiert, doch seitdem unser Kind auf der Welt ist, ist mir bewusst geworden, dass Aufstieg und mehr Geld verdienen nicht alles sind.“
Manchmal geht es darum, die Verantwortung in einer Führungsrolle zu reduzieren oder gezielt nach Arbeitgebern zu suchen, die eine Vier-Tage-Woche anbieten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Was von außen betrachtet wie ein „Karriereknick“ aussieht, kann eine bewusste Entscheidung sein. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich halte es für gefährlich, mit der Annahme eine Elternzeit zu beginnen, im Anschluss in den gleichen Job zurückkehren zu müssen, damit bloß kein (vermeintlicher) „Karriereknick“ im Lebenslauf sichtbar ist.
Ja, ein Arbeitgeber ist verpflichtet, mit der Rückkehr einen vergleichbaren Job anzubieten – was auch immer das konkret bedeutet, doch die viel entscheidendere Frage ist, wie sich die persönlichen Werte im Leben und damit im Beruf während dieser Zeit verändert haben und was dies für den Wiedereinstieg in den Job bedeutet.
Ich definiere Karriere als jene berufliche Entwicklung, die zu den Werte und Zielen in einer Lebensphase passt. Ist es wirklich ein „Karriereknick“, wenn sich jemand bewusst dafür entscheidet, nicht mehr in die ehemalige Führungsrolle zu gehen oder statt Vollzeit mit massig Überstunden nun Teilzeit zu arbeiten?
Wir sollten damit aufhören, Lebensläufe und damit den Lauf eines Lebens ohne Kenntnis der Werte und Lebensumstände eines Menschen als erfolgreichen Aufstieg oder schlimmes Scheitern zu bewerten. Auch der Schritt zurück, die Abgabe von Verantwortung oder die Reduzierung von Arbeitszeit kann als bewusste Entscheidung ein gesunder, persönlich erfüllender Schritt im Beruf sein.
Vergiss die CV-Tipps, das Leben schreibt Deinen Lebenslauf
Wer sagt, dass eine Mutter oder ein Vater nach der Elternzeit im Beruf weniger leistungsstark ist? Wer definiert, was für den beruflichen Wiedereinstieg wirklich wertvoll ist – das anerkannteste Weiterbildungszertifikat oder die intensive Familienzeit mit allen ihren erworbenen Soft-Skills? Wer kann sich derart über andere Menschen erhöhen und ohne sie persönlich zu kennen beurteilen, welchen Einfluss eine Elternzeit auf die persönliche Entwicklung hatte?
Lasst uns aufhören, Menschen in Schubladen zu stecken, weil ihr Denken oder Handeln nicht unserem eigenen Weltbild entspricht. Lasst uns genauso aufhören zu glauben, uns für Entscheidungen oder Zeiten in unserem Leben rechtfertigen oder gar entschuldigen zu müssen, weil sie nicht irgendeiner Norm oder einem angesagt gesellschaftlichen Bild entsprechen. Denn es gibt sie schließlich nicht, diese eine für alle gültige Wahrheit.
Es ist keine Rabenmutter, die ihre persönliche Erfüllung in Sprachen lernen oder Weiterbildung neben der Erziehungsarbeit findet. Genauso verliert keine Mutter durchs Stillen ihr Gehirn, wie es Journalistin Laura Lewandowski kürzlich auf LinkedIn schrieb.
Sollten wir nicht alle in unserem Leben mit gutem Gewissen mehr von dem tun, von dem wir wissen, dass es uns persönlich guttut? Unabhängig davon, was uns Ratgeber einbläuen, wie wir unser Leben für einen „professionellen“ Lebenslauf zu leben haben.
Denn wir leben nicht für unseren Lebenslauf, sondern Dein Leben schreibt Deinen Lebenslauf.
Was ist Dir in der Elternzeit wichtig (gewesen) und welche Erfahrungen hast Du in Sachen „Elternezeit im Lebenslauf“ gemacht? Schreib’s gerne in die Kommentare.
Während meiner Elternzeit und dem damit verbundenen Abstand zum Job wurde mir deutlicher bewusst als vorher was ich möchte. Schnell wurde mir klar das ich mich auf die Suche nach einem neuen Job begeben muss. Gespräche mit meinem damaligen Chef waren ernüchternd und teilweise sehr frustrierend. Nach einem Jahr „Pause“ wurde ich behandelt als wäre ich eine Berufsanfängerin.
Nach der Elternzeit, ca. ein halbes Jahr später habe ich mich demnach auf eine neue Stelle beworben. Auf Anraten meines Schwiegervaters habe ich die Elternzeit meiner Kinder (jeweils 1 Jahr) aus dem Lebenslauf rausgestrichen. Auch während des Vorstellungsgesprächs habe ich nicht erwähnt , dass ich Kinder habe und in Elternzeit war. (Wurde auch nicht gefragt) Den Job habe ich bekommen.. Bei der Vertragsunterzeichnung wurde ich gefragt, ob ich Kinder habe (für die Formalitäten). Mir wurde das „Verschweigen“ der Elternzeit zu keinem Zeitpunkt negativ ausgelegt. Selbst als ich ich mich mehrmals in der Probezeit „kindkrank“ melden musste. Aber bis heute plagt mich ein schlechtes Gewissen. Rückblickend würde ich es in den Lebenslauf reinschreiben. Ob ich den Job dennoch bekommen hätte weiß ich nicht, aber das schlechte Gewissen plagt mich bis heute.
Ich finde es von der Gesellschaft wirklich scheinheilig. Was ist wohl wichtiger? Unternehmen zu Gewinnen zu verhelfen von denen man selber kaum etwas hat oder ein Kind zu einem selbstständigen und verantwortungsbewusten Menschen zu erziehen?
Was ist so falsch daran, nicht immer nur an „das Unternehmen“ zu denken? Wem nutzt es, wenn man die Kinder zu Gunsten des Profites vernachlässigt? Bestimmt nicht den Unternehmen. Was überhaupt ist denn heute noch eine Karriere wert? Unternehmen halten einen ja doch für austauschbar.
Aber mal zurück zum Lebenslauf. Das Teil heißt nicht umsonst Lebenslauf. Das ist keine Darstellung der Karriere sondern der Stationen im Leben. Also was soll dieses gesuche nach Lücken? Wer eine finden, darf sie behalten. Um das mal salopp auszudrücken. Heute gibt es wohl keinen Lebenslauf mehr, der 40 Jahre Beschäftigung bei ein und dem gleichen Unternehmen zeigt. Da entstehen automatisch Löcher. Und gerade in der Elternzeit hat man schon kaum Zeit für sich selber und auch kein Geld übrig um Fortbildungen zu bezahlen. -Oder habe ich da etwas verpasst und Elternzeit wird toll bezahlt?- Und auch da mal ganz ehrlich, Fortbildung für sich selber ist in Ordnung, aber wer glaubt, dass Unternehmen das honorieren, der hat entweder ganz tolle AG oder ich hatte nur die schlechten AG erwischt.
Wer es unbedingt verstecken will, ich habe mal irgendwo gehört, wie jemand die Erziehungszeit der Kinder benannt hat: „Führung eines erfolgreichen Familienunternehmens.“ Und das trifft es eigentlich auch.