Warum Chefs bei Low-Performern keine härtere Peitsche, sondern eine neue Brille brauchen
„Chefs müssen hart durchgreifen“, fordert Management-Coach Roland Jäger in einem Beitrag auf ZEIT ONLINE. Es geht um sogenannte Low-Performer, die Schätzungen zufolge 10% der Arbeitnehmerschaft ausmachen. Er wirft Chefs vor, dass sie zu konfliktscheu sind und ermuntert sie, schlechte Leistungen stärker zu sanktionieren, Low-Performer abzumahnen und zu kündigen. Peitsche statt Kuschelkurs. Chefs sollen hart durchgreifen gegen die „Bluffer“, „Querulanten“ und „notorischen Leistungsverweigerer“, wie er sie nennt. Die Frage, warum und wann sich Angestellte entscheiden, überhaupt zu Low-Performern zu werden, scheint hier irrelevant. Wer nicht leistet, wird mit Härte bestraft. Eine Haltung, die aus meiner Sicht für die heutige Arbeitswelt überholt ist. Denn nicht der Rausschmiss aller heutigen und künftigen Low-Performer ist die Lösung, sondern doch vielmehr die Frage, was Menschen überhaupt zu Low-Performern werden lässt und was sie wirklich motiviert, um einen guten Job zu machen.
Low-Performer oder High-Potential? Eine Frage der Perspektive
Vor ein paar Wochen saß mir Frank (Name geändert) im Coaching gegenüber. Der Job ist ihm wichtig, seine junge Familie auch. Sicherheit hat für ihn eine hohe Bedeutung und geregelte Arbeitszeiten möchte er auch. Lieber Routine als Abenteuer im Beruf. Er sucht einen neuen Arbeitgeber, mit dem er sich identifizieren kann und Aufgaben, die ihm wieder Freude machen. Karriere wolle er nicht mehr machen, sondern einfach nur einen guten Job für die nächsten 10 oder 15 Jahre finden. Frank ist ein 9-to-5-Typ und wird sich im Büro nicht überarbeiten. Doch wird er dadurch gleich zu einem Low-Performer? Im Vergleich zu einem hoch ambitionierten, extrem Karriere fixierten und täglich vier Überstunden freiwillig leistenden Kollegen wahrscheinlich ja. Dabei bin ich sicher, dass Frank ein verlässlicher Kollege und treuer Mitarbeiter ist, der seine Aufgaben richtig gut erledigt.
Auch wenn Frank in meinem Beispiel nicht der Typ Low-Performer ist, um die es in dem ZEIT-Artikel geht, ist es für mich ein gutes Beispiel, um zu hinterfragen, wer an welchen Maßstäben definiert, was ein Low-Performer ist. Und, um zu verstehen, dass für jeden von uns im Beruf andere Werte wichtig sind, die uns antreiben und damit über unsere Arbeitsintensität entscheiden, uns jedoch nicht automatisch zu guten oder schlechten Mitarbeitern oder gar Menschen machen.
Ja, es gibt sie: Die schlecht leistenden, Arbeit minimierenden Angestellten mit Null-Bock und Ist-mir-egal-Haltung. Die lieber Aufgaben an Kollegen abschieben als freiwillig Hier! zu rufen. Die sich weigern, Verantwortung zu übernehmen oder notorisch gesetzte Termine verstreichen lassen. Die ewigen Krank-Feierer, Brückentage-Optimierer, Drückeberger, Kollegenschweine und Faulenzer. Und es gibt sie auch in höheren Etagen: Führungskräfte vor allem im mittleren Management, die in den unüberschaubaren Tiefen mancher Hierarchiegefüge ihr sicheres Kästchen im Organigramm hüten und sich einen lauen Job machen. Low-Perfomer gibt es überall, ob im kleinen Familienbetrieb oder im Großkonzern. Sie bleiben dauerhaft unter ihren Fähigkeiten und gesetzten Zielen, machen Fehler und haben schlechten Einfluss auf das ganze Team.
Doch hat ihre bloße Existenz zur Konsequenz, ihnen mit Härte den Kampf anzusagen? Interessiert es dabei niemanden, warum Mitarbeiter zu Low-Performern werden? – „Sie sind es halt und sie schaden uns und das ist nicht tolerierbar!“ würde der harte Manager jetzt wohl sagen. Ich persönlich empfinde diese Sichtweise in Zeiten von Fachkräftemangel in manchen Branchen und Regionen und eh schon hoher natürlicher Fluktuationsraten als zu einfach gedacht. Denn schon der nächste Mitarbeiter kann gerade im Begriff sein, sich dafür zu entscheiden, dass es besser ist, unter diesem Chef und in diesem Unternehmen lieber zum Low-Performer zu werden.
Warum sich Menschen entscheiden, Low-Performer zu werden
Ich glaube nicht an den Bluffer, der gut getarnt als Bewerber nach Bestehen der Probezeit auf einmal sein wahres Ich als Low-Performer zeigt und es immer darauf angelegt hat. Ich glaube auch nicht daran, dass 3,9 Millionen Menschen Freude daran haben, ihren Job als Low-Performer zu erledigen.
Niemand wird als Low-Performer geboren, sondern jemand entwickelt sich zum Schlechtleister. Viele der im Job frustrierten Angestellten, die zu mir in die Beratung kommen, haben sich oft schon vor Monaten entschieden, innerlich zu kündigen und weniger oder gar keine Leistung mehr zu erbringen. Weil sie keine Anerkennung ihrer Leistungen erfahren haben, sich ungerecht behandelt fühlten, sie keine Herausforderung mehr verspürten, sondern sie die Langeweile quälte. Oder weil sie schlicht erkannt haben, dass mehr Leistung kein Mehr von dem bedeutet, was ihnen persönlich im Beruf so wichtig ist und was sie wirklich motiviert, viel zu leisten.
Low-Performer zu sein ist für mich keine Schwäche des Einzelnen aus egoistischer Boshaftigkeit, sondern vielmehr logisch konsequentes Handeln von Menschen in einem Umfeld. Die einzige Ausnahme bilden Mitarbeiter, die tatsächlich nicht über die Fähigkeiten verfügen, die sie für die Erfüllung der Anforderungen einer Position benötigen. Doch dann hat es nichts mit Performance, sondern mit Fehlbesetzung und Versagen im Recruiting-Prozess zu tun. Und auch hier wäre mehr Härte der Chefs wohl das schlechteste Mittel der Wahl.
Hart durchgreifen ist keine Führungskompetenz, sondern Hilflosigkeit
Führungskräfte zu ermuntern, ihren Low-Performern mit Macht zu begegnen, ihre Minderleistung zu sanktionieren oder gar mit Kündigung zu drohen, das ist für mich nicht nur Management-Methode von gestern, sondern zugleich der zu kurz gedachte Versuch, einen Gegenpol zum Kuschelkurs-Management zu setzen, dem heute viele Chefs verfallen sind. Ja, Kuschelkurs tut weder Chefs noch ihren Mitarbeitern gut, dazu hatte ich hier geschrieben. Doch der Rückfall in autoritäre Führungshärte ist nicht die Lösung, sondern nur eine vor allem für altgediente Manager noch bekannte Gewohnheit, mit der sie unbequeme Mitarbeiter mundtot machen und damit die Folgen ihrer inzwischen orientierungs- und damit meist wirkungslosen Führungshaltung vertuschen können.
Hier geht es um Macht. Doch Macht hat in der Arbeitswelt von heute zwei Seiten: Die gute Seite der Macht bedeutet für viele Angestellte, ausreichend große Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu besitzen. Macht als Mittel zum Zweck für mehr Einfluss – in der guten Absicht, Dinge zu bewegen und Sinnvolles zu erreichen. Die schlechte Seite der Macht steht für Manipulation, Ungerechtigkeit, Druck und Härte durch verliehenen Status.
Wer in der heutigen Arbeitswelt Angestellten gegenüber seine Macht durch bewusste Überordnung ausnutzt, der macht sich klein und schwach. Härte ist keine Führungskompetenz mehr, sondern ein Ausdruck von Hilflosigkeit, nachdem sachliche Kommunikation, echtes Interesse auf Augenhöhe und Vertrauen in die gute Zusammenarbeit versagt haben.
Chefs brauchen neue Brillen statt härtere Peitschen
Zurück zu den Low-Performern. Für mich besteht die Lösung darin, als Chef genauer hinzusehen statt blind auszuteilen: Warum verhält sich ein Mitarbeiter so, welchen Nutzen zieht er daraus und welche seiner Werte und persönlichen Ziele werden gerade verletzt? Was beschäftigt einen Mitarbeiter vielleicht gerade, dass er seinen Job nicht gut machen kann? Und welchen Anteil hat auch die Führungskraft selbst womöglich daran? Jedes Verhalten ist in einem Kontext sinnvoll – auch das Verhalten eines Low-Performers. Wer einseitig den harten Chef spielt, wird alles das nicht erkennen und lösen können.
Ich erlebe in der Arbeit mit Führungskräften, dass viele vor allem im mittleren Management selbst so sehr im Hamsterrad stecken, dass sie den Blick auf ihre eigenen Mitarbeiter verloren haben. Sie bekommen nicht mit, wenn ihre Mitarbeiter fachlich über- oder auch unterfordert, überlastet oder gelangweilt, frustriert oder erschöpft sind. Frage ich Chefs, ob sie wissen, was ihren Mitarbeitern wichtig ist und was sie in Sachen Führung benötigen, um gute Leistungen zu erbringen, haben viele eine ungefähre Ahnung, können diese Fragen aber nicht klar beantworten.
Ich mache Führungskräften damit keinen Vorwurf, denn auch sie sind nur Teil des großen Ganzen und einer Arbeitswelt, die sich momentan in einem Veränderungsprozess befindet. Doch mit dieser Haltung ist es nicht verwunderlich, dass sich mancher Mitarbeiter irgendwann entscheidet, sein Engagement zu reduzieren (fällt ja eh so schnell nicht auf) und mit der Zeit die Arbeitsbeziehung zu seinem Vorgesetzten insgesamt neu zu bewerten (interessiert sich ja eh nicht für mich).
Wer sich als Führungskraft entscheidet, Low-Performer nicht einfach abzuschreiben, sondern daran glaubt und ein echtes Interesse daran hat, auch solche Mitarbeiter wieder motivieren und weiter entwickeln zu können, der muss genau dort ansetzen.
Wer als Führungskraft nicht vorausschauend die Leitplanken vorgibt und Mitarbeiter entsprechend ihrer individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Talente und persönlichen Wertevorstellungen einsetzt sowie auch fachlich und persönlich fordert und fördert, darf sich über die Quittung in Form von schlechter Performance, Frustration sowie in Zeiten guter Arbeitsmarktlage auch über die Abwanderung von High-Performern nicht wundern.
Führung bedeutet aus meiner Sicht heute vor allem das wirkungsvolle Management von Beziehungen. Wie in jeder gesunden Beziehung dürfen auch im Büro mal hart die Fetzen fliegen. Es geht bei Führung nicht um Härte oder Samthandschuhe. Es geht um die passende Grundhaltung als Führungskraft sich selbst und den eigenen Mitarbeitern gegenüber – und zwar unabhängig davon, ob sie noch Low-Performer oder schon High-Potentials sind.
(Bild: 123rf.com, 42516198, Wavebreak Media Ltd)
Ich berate Klienten in Veränderungsprozessen z.B. bei der Umorientierung im Job.
Der Artikel hat mir daher sehr gefallen.
Meine Erfahrung ist nämlich auch, dass Mitarbeiter/innen immer einen Grund dafür haben, wenn sie zu sog. „Low-Performern“ werden.
Oft sind es unklare oder nicht erreichbare Zielvorgaben der Führungskraft. Manchmal sind aber auch familiäre oder gesundheitliche Gründe die Ursache dafür, dass die Leistung von Mitarbeiter/innen sinkt.
Die positive und zugewandte Grundhaltung der Führungskraft gegenüber dem/der Mitarbeiter/in ist daher wichtig, um eine für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung zu finden.
Ganz toller Artikel, der meine Sichtweise wunderbar wiedergibt. Ich habe diese Verhalten, zwar nicht als LowPerformer, aber sowohl als geführter als auch als führender Mitarbeiter erlebt.
Das angesprochene Interesse aneinander und die Ergründung der individuellen Motivation für bestimmte Handlungsweisen sollte auf jeglichen Mitarbeitertypus angewand werden. Auch ein HighPerformer wird gern interviewt, was ihn denn so bewegt, statt seine Leistung hinzunehmen oder platt zu belobigen.
Limitiert wird dieser positive Ansatz von Arbeitsüberlastung des Führenden und stringenten Vorgaben der obersten Hirachien, wie ein Entwicklungsprozeß auszusehen hat. Denn der beschriebene Prozeß ist ungleich zeitintensiver und erfordert geistigen Freiraum beider Seiten. Der platte „Anschiss“ und die Androhung von Konsequenzen ist schneller vollzogen, als ein konstruktives Gespräch und die überlegte Unterstützung in der Verhaltensänderung im Nachgang. Das soll aber definitiv kein Appell für die Akzeptanz der vielerorts praktizierten Führungsmethoden mit „Zuckerbrot und Peitsche“ sein. Diese verschleißen sich und führen das gesamte Team ins stimmungstechnische und performanceseitige Mittelmaß und nichts ist langfristig öder.
Lieber Herr Dr. Slaghuis, gerne mehr davon und weiter so !!!
Grüße aus Sachsen
Mehr hierzu findet sich unter der Theorie von McGregor über x-und y-Arbeiter, die einen arbeiten aus Begeisterung, die anderen brauchen die Peitsche.
https://de.wikipedia.org/wiki/X-Y-Theorie
Der entscheidende Punkt ist: diese Einteilung ist _nicht_ stabil über die Zeit. Man kann Menschen in die Low-performance bringen, man kann sie da aber auch wieder herausholen. Schlicht Aufgabe der Führungskraft.
VW hat Führungskräfte und Abteilungen ausgewertet.
Schlechter Chef, hohe Krank-Quote.
Guter Chef, niedrige Fehltage.
Jetzt das spannende: was passiert bei Chef-Wechsel?
Ein schlechter Chef bringt eine vorher gute Abteilung zum Krankfeiern
Ein guter Chef bringt eine schlechte Abteilung wieder in den Normbereich.
(Leider keine Quelle)
Gruss
Sollte ich mal meinem Chef lesen lassen :) Er ist noch von der ganz alten Schule – führungstechnisch mein ich.