Leadership: Wer führen will, muss Menschen lieben
Einige Führungskräfte fühlen sich heute überfordert. Sie stecken fest zwischen den Ansprüchen mehrerer Generationen von Mitarbeitern, unklaren Zielen von oben und dem selbst noch nicht gelernten Umgang mit Komplexität und Dynamik. Hinzu kommt: Das Karriere-System hierzulande macht immer noch gerne den besten Sachbearbeiter zur Führungskraft. Wer über Jahre einen guten Job gemacht und in den oberen Etagen Aufmerksamkeit erregt hat, der erhält Personalverantwortung. Doch nicht jeder Fach-Experte oder Profi im Selbst-Marketing ist gleichzeitig auch eine gute Führungskraft. Ich treffe manchmal im Coaching auf Angestellte, die keine Freude an ihrer Führungsfunktion haben, ja sogar ihre Mitarbeiter als lästig und störend empfinden. Was zeichnet eine gute Führungskraft und wirkungsvolles Leadership heute und in Zukunft aus?
Leadership im Spannungsfeld von Wertewandel, Komplexität und Dynamik
Aktuelle Studien, wie etwa der Bertelsmann-Stiftung oder der Initiative neue Arbeit (INQA) kommen zu dem Ergebnis, dass das hierarchisch steuernde Führungsmodell ausgedient hat und ein Paradigmenwechsel in der Führungskultur dringend erforderlich ist. Der US-Forscher Fred Kiel zeigt in seinem Buch „Return on Character“, dass ein guter Charakter der Führungskraft für die Wirksamkeit von Führung und somit auch für den ökonomischen Erfolg von Unternehmen entscheidend ist. Doch für die meisten HR-Entscheider stehen bei der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften weiterhin fachliche Expertise, Problemlösungskompetenz und die Beherrschung von Führungstechniken im Fokus. Ein klarer Widerspruch aus meiner Sicht.
Der Druck ist schon lange hoch und die Unsicherheit steigt weiter. Denn der Wertewandel der Generationen sowie die stetig an Fahrt aufnehmende Komplexität und Dynamik prägen heute nicht mehr nur das Handeln auf strategischer Managementebene, sondern sie sind längst auch an jedem einzelnen Arbeitsplatz und im operativen Tagesgeschäft spürbar angekommen.
Viele Chefs verbiegen sich derzeit im unbequemen Spagat zwischen herkömmlicher hierarchisch organisierter und an Zielen, Zahlen und Kontrolle orientierter Führung für die altgedienten Generationen und dem Modell Eigenverantwortung und Partizipation auf Augenhöhe für die bereits in weiten Teilen nachgerückte junge Generation.
Wie sollen sie es nur allen recht machen und sie zu Höchstleistungen motivieren, damit niemand und auch sie selbst nicht auf der Strecke bleiben? Und so begeben sich viele Manager auf die Suche nach dem optimalen, dem neuen Führungsstil.
Gute Führung wird zum strategischen Wettbewerbsvorteil
Viele der Bosse alter Schule harren aus – nach ihnen die Sintflut. Es ist vor allem der Führungsnachwuchs, der sich heute neugierig umschaut und mehr als fündig wird. Denn die Diskussion um New Work, Digitalisierung und Arbeiten 4.0 ist in vollem Gang und die Angebote an Trainings und Management-Literatur für die Führungskraft von morgen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Ganze Führungsriegen aus Großkonzernen saugen wissbegierig Erfolg versprechende Tools, neue Kommunikationstechniken und innovatives Leadership auf. Mal nach dem Vorbild der Natur, mal in der Raumfahrt erprobt, aber selbstverständlich alles wissenschaftlich fundiert.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um gute Führung. Gesund muss sie sein! Denn der volkswirtschaftliche Schaden aufgrund psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz wird jährlich mit 4 bis 5 Milliarden Euro beziffert.
Führung soll zudem begeistern und Leistungsträger an das Unternehmen binden. Denn die Identifikation mit dem Arbeitgeber verliert gerade bei jungen Menschen immer mehr an Bedeutung. Fluktuationsraten steigen und das Recruiting qualifizierter Mitarbeiter gestaltet sich in einigen Regionen und Branchen zunehmend schwierig und wird ebenso wie die hohen Fehlzeiten nicht nur zum unliebsamen Kostentreiber, sondern vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zu einem relevanten Thema für das strategische Risikomanagement.
Welchen Führungsstil hätten Sie denn gern?
Das Angebot im Supermarktregal der Leadership Methoden und Führungsstile ist schier unüberschaubar geworden: Autoritär und patriarchalisch werden nur noch als Restposten gehandelt, neu im Sortiment finden sich transformational, transaktional, konsensual, demokratisch, holokratisch, dialogisch, agil, partizipativ, situativ, iterativ, kooperativ, charismatisch, sinnorientiert, laissez-faire – und wie sie alle heißen.
Der Strauß vermeintlich zeitgemäßer und zukunftskonformer Führungsstile wird immer bunter. Jeder einzelne Stil hat seine Befürworter und Vorteile, aber auch Kritiker und Kehrseiten. Mit jedem Führungsstil ist eine andere Haltung, sind unterschiedliche Denk- und Verhaltensweisen verbunden. Kein Wunder, dass viele Manager überfordert sind und besorgt auf diese Vielfalt blicken und sich am Ende des Tages doch wieder zurücklehnen und lieber gar nichts verändern.
Führung ist das wirkungsvolle Management guter Beziehungen
Geht es tatsächlich um die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Führungsstil, der im ganzen Unternehmen nach Plan ausgerollt und jedem Mitarbeiter mit Personalverantwortung übergestülpt wird? Um auswendig zu lernende Führungsrichtlinien und fleißig antrainierte neue Führungstools? Aus meiner Sicht ein klares Nein, denn entscheidend ist in Zukunft vielmehr die eigene Haltung als Führungskraft und die persönliche Einstellung zu anderen Menschen.
Zu diesem Ergebnis kommt nicht nur der US-Forscher Kiel in seinen Studien und stellt den Charakter einer Führungskraft allem voran, sondern auch zahlreiche deutsche Wissenschaftler und Institutionen, die sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen, bringen es in der Konsequenz auf einen Punkt: Der Mensch steht im Mittelpunkt. So abgedroschen und inflationär dieser Satz heute daherkommt, denn er klingt mehr nach Kuschelkurs-Esoterik als nach Managementlehre, ziert er aber dennoch inzwischen das Branding fast jeder Karriere-Website großer Konzerne, so bedeutungsvoll und zugleich simpel ist er in Bezug auf gute und vor allem Generationen übergreifende Führung.
Das Problem: Hierfür gibt es kein Schema-F-Rezept. Kein Buch mit den fünf sicheren Tipps auf dem Silbertablett und auch kein Training von der Stange. Haltung ist vielmehr eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen und zu der jeder als Chef des eigenen Lebens selbst finden muss. Eine Haltung, die zur Persönlichkeit und den eigenen Werten und Zielen, aber auch zu denen der Mitarbeiter sowie der Unternehmenskultur passt. Die Einstellung als Mensch sich selbst und anderen Menschen gegenüber.
Menschen lieben ist kein Kuschelkurs!
Einige Führungskräfte höre ich jetzt sagen: „Papperlapapp! Zucht und Ordnung müssen herrschen und die Mitarbeiter brauchen klare Anweisungen, wo es lang geht! Menschen lieben? Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und kein Wellness-Hotel!“ – Ja, das stimmt. Auch wenn einige Unternehmen momentan alles daran setzen, ihre Mitarbeiter wie im Wellness-Hotel zu behandeln. Doch nun die Samthandschuhe anzuziehen und die Mitarbeiter in Watte zu packen, das halte auch ich für die genau falsche Reaktion. Denn hinter „Wer führen will, muss Menschen lieben“ steckt für mich etwas völlig anderes als Kuschelkurs und Friede, Freude, Eierkuchen.
Werfen Sie doch einmal einen Blick in Ihr eigenes Leben, auf Freunde und Bekannte. Wenn Sie Führungskraft sind, schauen Sie auf die Beziehungen zu Ihren Mitarbeitern oder auch den Kollegen: Mit wem kommen Sie am besten klar, wenn es um kritische Dinge geht, wie etwa Fehler, die gemacht wurden oder unliebsame Aufgaben, die erledigt werden müssen? Mit wem können Sie auch mal so richtig Tacheles reden, ohne sich hinterher spinnefeind zu sein? Es sind solche Menschen, zu denen Sie eine gute Beziehung haben. Eine feste zwischenmenschliche Verbindung, die auch ein heftiges Donnerwetter und harrsche Kritik aushält. Ich möchte sogar behaupten, dass der strenge autoritäre Vorgesetzte auch in Zukunft eine gute Führungskraft sein kann, der Mitarbeitern Halt gibt, sie fördert und zu einem positiven Ergebnis für das Unternehmen beiträgt, solange die eigene Haltung stimmt.
Leadership: Haltung ist Pflicht, Technik ist nur die Kür
Was zeichnet eine gute Haltung als Führungskraft aus? Wie in jeder partnerschaftlichen Beziehung ist es vor allem das echte Interesse am Gegenüber. Offenheit für die Bedürfnisse und eigenen Themen, aber auch für neue Ideen und andere Perspektiven. Echte Empathie und bewusstes Hinschauen, woraus Motivation geschöpft wird und woher Denken und Handeln tatsächlich rühren. Vertrauen, Selbstverantwortung, Wertschätzung, Loyalität und Respekt: Nicht mehr nur als leere Worthüllen, sondern als bewusste eigene Entscheidung und als für das Umfeld erlebbares Verhalten.
Mit dieser Haltung sind Angestellte keine Personalnummern oder Ressourcen im Stellenplan. Sie sind kein Mittel zum Zweck, um die eigenen oder die Ziele des Unternehmens zu realisieren. Sie sind Menschen. Mit ihren individuellen Stärken und Schwächen, Potenzialen und Zielen. Mit ihren unterschiedlichen Weltbildern und von verschiedener Herkunft, Erziehung und Bildung.
Erst die richtige Haltung entfaltet die tatsächliche Kraft von Diversity im Unternehmen. Ohne bleibt es die vielfach noch heute nur bunt gestrichene Fassade, hinter deren Mauern hierarchische Macht ausgelebt und Mitarbeiter durch Kontrolle und Angst zu vordergründigen Höchstleistungen getrieben werden.
Wer als Führungskraft jedoch diese Individualität für sich selbst und auch sein eigenes Umfeld bewusst wahrnimmt und sich aktiv dafür entscheidet, sein Denken und Handeln konsequent daran auszurichten, der wird heute und in Zukunft erfolgreich Mitarbeiter und Teams führen und zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beitragen.
Führungsmethoden und -techniken können nützlich sein, um Schritt für Schritt zu einer guten Führungshaltung zu finden. Doch am Ende bleiben sie nur die Kür und entfalten ohne die richtige Haltung niemals ihre volle Wirkungskraft.
Hervorragend beschrieben. Entspricht exakt meiner eigenen Erfahrung. Leute die sich ständig posend vor dem Chef stellen und tönen was sie gemacht (häufig auch von anderen Mitarbeitern und Kollegen „geklaut“) haben, werden bemerkt. Der Chef macht sich nicht die Mühe das auch noch zu hinterfragen und setzt diese Leute als seine verlängerten Arme ein. Das Gefühl von Ungerechtigkeit und Demotivation ist die Folge – ein ungutes Betriebsklima entsteht.