Mut: Warum Sie nicht mutig, sondern neugierig sein sollten
„Ich würde ja gerne, aber mir fehlt der Mut.“ Mutig sein. Mut beweisen. Allen Mut zusammennehmen. Oft möchten wir gerne etwas verändern, uns fehlt aber der Mut, dies auch zu tun. Was erfordert Mut? Ist es gut, mutig zu sein oder begeben wir uns mit zu viel Mut in zu gefährliche Situationen? Ist es vielleicht auf der anderen Seite mutig, gerade etwas nicht zu tun? Der fehlende Mut als Blockade und Hindernis, konsequent den Weg in Richtung eines gewünschten Ziels einzuschlagen, begegnet mir in den Gesprächen mit meinen Klienten sehr häufig. Gerade berufliche Veränderungen, die zwar als äußerst attraktiv erscheinen, werden oftmals nicht zielstrebig genug verfolgt, weil der notwendige Mut fehlt.
Warum fokussieren wir uns in unserem Denken und Handeln so sehr auf den fehlenden Mut und die Überwindung von Ängsten anstatt auf die Neugier und die Lust darauf, was sein wird? Fehlender Mut ist gut und hat seine Berechtigung, denn er ist ein Schutz vor unüberlegten Handlungen. Neugier auf Neues erzeugt Motivation und macht Lust auf Veränderung.
Lassen Sie uns diese beiden Perspektiven genauer betrachten. Nehmen wir das Beispiel eines Fallschirmsprungs. Versetzen Sie sich in die Lage des Springers oder der Springerin und sprechen Sie die folgenden beiden Sätze in Gedanken oder auch laut aus:
1) „Ich muss jetzt besonders mutig sein, um den Sprung zu wagen.“
2) „Ich bin neugierig, wie ich mich bei dem Sprung fühlen werde.“
Welche Gedanken kommen Ihnen bei jedem der beiden Sätze in den Sinn? Wie fühlen Sie sich?
Bei mir sind es bei Satz 1) Angst, Sorge und Respekt vor der Überwindung des Springens und bei Satz 2) die Vorfreude, Lust und eine positive, gesunde Aufregung, was ich wohl erleben werde.
Mut beweisen
Ist es nicht interessant, dass wir oft von „Mut beweisen“ sprechen? Wem müssen wir etwas beweisen? Ich denke bei „Mut beweisen“ an erster Stelle weniger an mich selbst, sondern vielmehr an andere Menschen in meinem Umfeld. Müssen wir tatsächlich anderen unseren Mut beweisen?
Während ich diesen Artikel schreibe, gehe ich in Gedanken verschiedene Stationen in meinem Leben durch, wo ich Mut bewiesen habe. Die meisten Situationen hatten gemeinsam, dass es eine empfundene hohe Unsicherheit über das gab, was nach der Entscheidung oder einem Schritt sein würde. Ist es die richtige Entscheidung? Nehme ich meinen Mut zusammen und fasse den Entschluss? Bin ich mutig und mache etwas, was in meinem Leben nicht alltäglich ist und außerhalb meiner sicheren Komfortzone liegt? Akzeptiere ich die Unsicherheit und kann mit den Konsequenzen leben?
Mut beweisen kann auch bedeuten, etwas nicht zu tun, was von uns erwartet wird. Diese Form des Mutes setzt jedoch einen gewissen Grad an Selbstreflexion und der eigenen Einstellung eines selbstbestimmten Handelns voraus. Nein sagen verbinden viele Menschen mit mutig sein.
Beide Formen von Mut setzen wir häufig auf eine Ebene mit der Überwindung, sich etwas zu trauen. Gleichzeitig haben wir Angst davor, den Mut zu verlieren und es doch nicht zu tun. Wer keinen Mut beweist, ist ein Weichei und wird von der Welt als Versager abgestempelt – das denken wir zumindest oft.
Dabei erinnere ich mich gerade daran, wie der kleine Bernd zum ersten Mal auf dem 7,50-Meter-Turm im Schwimmunterricht stand und springen „sollte“. Das war mutig und kostete echt viel Überwindung, machte mich aber auch stolz und trug immerhin zu einer guten Note in einem Fach bei, wo ich doch früher eher mittelmäßig begabt war. Aus heutiger Sicht hätte ich wahrscheinlich mutig entschieden, dass ich nicht springe und die schlechte Note sowie die mitleidigen Blicke meiner Mitschüler in Kauf nehme. Aber dieses Denken haben wir eben noch nicht im Alter von 14 Jahren – zumindest zu meiner Zeit noch nicht.
Sind Mutige erfolgreicher?
Mutigen Menschen wird Erfolg zugeschrieben. Denn Mut steht für Entschlossenheit, Willensstärke und Kraft.
Ist das so?
Warum ist ist es gut, ab und zu die Grenzen der eigenen Komfortzone zu überwinden? Sich zu trauen, neue Wege zu gehen und Dinge zu tun, die Sie noch nie in Ihrem Leben bisher getan haben. Warum handeln Menschen mutig, entschlossen und sind willensstark?
Sie sind getrieben von der Motivation, Neues zu entdecken, neue Erfahrungen zu sammeln. Neues, was den eigenen Horizont erweitert. Jeder Schritt über die Grenzen des eigenen Sicherheitsradius erweitert unseren Handlungsspielraum. Und je größer der Handlungsspielraum, desto flexibler können wir auf neue Situationen und Herausforderungen reagieren. Eine Determinante von Erfolg.
Mut oder Neugier?
Mit Satz -1- im Fallschirm-Beispiel fokussieren sich die Mutigen unter uns auf den Moment, in dem sie im Flugzeug sitzen, den Fallschirm auf dem Rücken tragen und die Beine schon aus der Öffnung heraus in der Luft baumeln. Der Moment, in dem sie entscheiden, sich einen Ruck zu geben und zu springen. Mut als Überwindung von Angst und als Entschlusskraft, es zu tun.
Der Perspektivwechsel: Sie haben richtig Lust darauf, zu erfahren, wie es ist, im freien Fall zu sein, bei Öffnung des Fallschirms den Widerstand zu spüren und irgendwann voller Adrenalin mitten auf einer Wiese zu landen. Sie sind neugierig darauf. Und Sie werden stolz sein, wenn Sie wieder gelandet sind, dass Sie es getan haben. Auch auf dieses Glücksgefühl sind Sie neugierig und freuen sich bereits vor dem Sprung darauf.
Neugier ist stärker als Mut
Gehen Sie für sich einmal die letzten Monate oder Jahre Ihres Lebens in Gedanken zurück und überlegen Sie, in welchen Situationen Sie besonders mutig waren. Vielleicht sind Sie auch gerade im Moment in einer Situation, in der Sie etwas in Ihrem Leben oder im Beruf verändern möchten und sich hierfür mehr Mut wünschen.
Versuchen Sie nun ganz bewusst, beide Perspektiven zu betrachten:
Fokussieren Sie sich auf die Überwindung der Angst, die damit verbundene Unsicherheit und den Schritt aus Ihrer Komfortzone heraus (= Mut) oder freuen Sie sich und sind neugierig auf das, was Sie Neues entdecken und erfahren können (=Neugier).
Neugierig – gierig auf Neues. Gierig sein bedeutet im positiven Sinne eine große Portion Motivation und die Lust, nicht genug vom Neuen bekommen zu können. Wäre ein Ziel für uns in einer bestimmten Situation nicht attraktiv, wären wir nicht neugierig darauf zu erfahren, wie es ist, wenn wir es erreicht haben.
Denken Sie an die kindliche Neugier. Kinder gehen unbeschwert an Neues heran. Sie haben weniger Zweifel und Ängste und stellen weniger Dinge infrage. Macht man etwas? Was sollen die anderen denken? Was ist, wenn des schief geht? Diese Fragen stellen sich Kinder nicht. Sie machen es einfach, erweitern so ihren Horizont und lernen durch die Erfahrungen. Erinnern Sie sich an Ihre kindliche Neugier und holen Sie sich eine Portion davon für Ihr Erwachsenen-Leben zurück.
Es ist mir an dieser Stelle wichtig, ausdrücklich zu betonen, dass es in diesem Beitrag ausschließlich um Veränderungen, Handlungen oder Entscheidungen geht, die Sie selbst als attraktiv empfinden. Veränderungen, über die Sie selbst entscheiden können und die Sie möchten. Handlungen infolge von Zwang und Fremdbestimmung, die Mut erfordern, klammere ich hier aus. Und natürlich ist in diesen Fällen der Perspektivwechsel vom Mut zur Neugier auch nicht angebracht.
Erweitern Sie die Perspektive
Also … nur Mut! :-) Probieren Sie es beim nächsten Mal aus, wenn sich Ihr Verstand wieder meldet und mehr Mut einfordert. Erweitern Sie bewusst Ihre Perspektive um die Neugier und entscheiden Sie dann, ob Sie etwas verändern werden, weil Sie neugierig auf das sind, was sein wird, oder ob Sie lieber weitermachen möchten wie bisher.
Hallo Bernd,
einen interessanten Gesichtspunkt beschreibst Du hier: Ich fühle sie förmlich, diese Energie der Neugierde, die nach vorne zieht. :-)
Jetzt weiß ich auch, weshalb es mich manchmal stört, wenn einige Coaches/Trainer stets auffordern, mutiger zu sein. Da fehlt immer etwas – nämlich das Gefühl des Eingebunden-Seins in den Flow des Lebens.
Die simple Aufforderung „mehr Mut zu zeigen“, ist mir manchmal zu kopfgesteuert und gibt dem Grund der „Barriere“ – nicht vorwärts zu gehen, zu zaudern oder sich anders zu entscheiden – auch nicht den nötigen Raum zur Reflexion.
Vielen Dank für diesen Artikel und herzliche Grüße aus dem Norden
Barbara
Barbara Simonsen MBA von Simonsen Management, Ratzeburg
Hallo Barbara,
ja, die Aufforderung, noch mutiger zu sein, fokussiert ja viel stärker auf die Hürde und deren Überwindung. „Die Aufgabe ist sooo groß, da muss man auch mal viel mutiger sein.“ Na prima! Warum also nicht ganz bewusst entscheiden, der Mutlosigkeit zu sagen, dass wir sie gerade nicht gebrauchen können, weil uns die Neugier auf das Neue viel mehr reizt?
Das war ein schöner Hinweis von Dir! Vielen Dank und liebe Grüße,
Bernd
Hallo!
Ein sehr schöner Artikel, der mir gerade meine eigene Position bewusst gemacht hat. Und diesen Unterschied zwischen der Neugierde und Vorfreude zum Thema Mut und Überwindung von Hindernissen.
Ich stehe davor, eine Anmeldung für eine neue Ausbildung abzuschicken, auf die ich unglaublich neugierig bin. Ich möchte sie machen und lernen, was ich dabei lernen kann. Der Gedanken daran macht mich fröhlich aufgeregt.
Wie überall gibt es natürlich Hindernisse und das ist bei mir die angespannte finanzielle Situation und die Unsicherheit, wie gut ich die Kosten werde aufbringen können. Ein Teil von mir sagt klar: da findet sich ein Weg. Einen Ansatz habe ich schon, ich werde weitere Möglichkeiten finden, wenn ich das brauche.
Und dann kommt da die vorsichtig-problematisierende Sichtweise ins Spiel, diese kleine miese Frage: hast du den Mut dazu, das Risiko einzugehen? Und mit dieser Frage türmt sich ein Berg an Unmachbarkeit auf, an Ängsten und Sorgen, das ich zögere, die Anmeldung in die Post zu stecken.
Natürlich ist es wichtig, die Finanzierung im Blick zu haben und die kritischen Punkte. Aber wenn ich begeistert einen Weg gehe, der mir in der Zukunft neue Möglichkeiten eröffnet, und ich in mir spüre, dass der Weg richtig ist, dann kann ich auch den Weg finden, die Schwierigkeiten zu meistern, ohne mir einen großen Block an überzüchteten Ängsten aufzubauen, die mich lähmen. Ich kenne den Zeitrahmen – ein Jahr. Ich kenne die Kosten, ich kenne eine Möglichkeit, zumindest einen Teil dessen auf sehr gut machbare und (innerlich) bereichernde Weise zu verdienen. Man kann nie alles absichern, alles kontrollieren und vermutlich ist in einigen Monaten eh wieder alles ganz anders. Und ich weiß, dass ich mit dem Veranstalter reden kann und er gerne versucht Wege mit einem zu finden, wie und ob ich im Notfall aus dem Vertrag rauskomme, falls alle Stricke reißen, was ich nicht glaube, und das ich auch kurze Zeiten überbrücken kann.
Die Frage „Will ich den Weg gehen?“ kennt ohne Zögern eine Antwort: „Ja.“
Die Frage „Hast du den Mut dazu, auch wenn du nicht alle Unwegsamkeiten kennst?“ löst sofort die Angst vor dem aus, was vielleicht eventuell sein könnte.
Danke für diesen Artikel, der gerade nochmal einen Kernpunkt von mir ins Bewusstsein gerückt hat. Denn diese Frage nach dem Mut hat mich in ganz vielen Dingen blockiert, auch da, wo es eigentlich gar keinen Mut benötigt, sondern einfach Handeln. Dort, wo eigentlich nichts anderes davon abhängt, als das ich tue, was ich tun will, aber überhaupt gar kein Risiko für mich oder andere.
Liebe Grüße und einen schönen, freudvollen und neugierigen Blick für den Tag,
Claudia
Hallo Claudia,
vielen Dank für Ihr Fedback und den Einblick in Ihre momentane Situation. Ich freue mich, wenn ich mit meinem Beitrag einen Impuls für eine neue Perspektive setzen konnte.
Ich wünsche Ihnen viel Neugier auf Ihrem weiteren Weg,
Liebe Grüße
Bernd
Hallo Herr Dr. Slaghuis,
auch ich danke für den wertvollen Beitrag. Ich sehe es auch so, dass die bloße Aufforderung nach mehr Mut eher wie ein unangenehmer Tritt in den Hintern wirkt als ein „Beschleuniger“. Das Betonen der Neugier ist da sicherlich eine gute Hilfe!
Ich denke, dass Veränderungen immer auch mit Angst verbunden sind. Schließlich gibt es gute Gründe, es bisher so und nicht anders gemacht zu haben. Und ich finde es wichtig, sich mit dieser Angst auseinander zu setzen, dann kann auch Platz sein für Neugier und Mut.
Liebe Grüße
Hans-Jürgen Lahann
Hallo Herr Lahann,
danke für Ihren Beitrag. Ja, Veränderung beutet fast immer raus aus der Komfortzone. Und hier haben Ängste durchaus (auch) ihre Berechtigung.
Viele Grüße, Bernd Slaghuis