Karriere im Vertrieb: So wird dein Vertriebsjob nicht zum Schleudersitz
Wenn ich auswerte, wer mir aus welchen Berufen im Bewerbungscoaching gegenüber sitzt, dann gewinnen Klienten aus Vertriebsjobs den ersten Platz. Denn sie sind es, deren Karriere oft holpriger verläuft, sie bei ausbleibendem Umsatz die Kündigung auf dem Tisch haben oder frustriert sind, weil sich der Job anders als gedacht erweist. Oft sehe ich lange Lebensläufe mit kurzen Beschäftigungszeiten und erlebe Menschen, die sich zwar für vieles begeistern können, jedoch als Machertypen auch Gefahr laufen, den nächstbesten Job anzunehmen und genauso schnell auch wieder draußen zu sein. Damit sich deine nächste Vertriebsposition nicht als Schleudersitz erweist, solltest du bei der Jobsuche drei Arten von Vertriebsjobs unterscheiden. Und du erfährst, worauf du als Jobwechsler und Bewerber achten solltest.
Ich möchte Dir von meinem Klienten Michael berichten, der im wahren Leben nicht Michael heißt, mir aber sein Einverständnis gegeben hat, hier über ihn zu schreiben. Er ist bei mir, weil er vor einem Monat einen neuen Job als „Key Account Manager“ bei einem mittelständischen Produktionsunternehmen angetreten hat und schon jetzt merkt, dass es so gar nicht passt. Er ist ein alter Hase im Vertrieb und war in den letzten Jahren bei etlichen Unternehmen im Außendienst tätig. Er sei Verkäufer aus Leidenschaft, erzählt er mir, während er seinen Lebenslauf über den Tisch schiebt. Was ich auf den ersten Blick sehe, überrascht mich nicht. Sein Berufsleben auf acht Seiten spricht Bände: Verschiedene Branchen, Arbeitgeber einmal quer durch Deutschland, keine Stelle länger als zweieinhalb Jahre. Er wolle jetzt endlich mal ankommen, schließlich werde es in seinem Alter immer schwieriger, die Stelle zu wechseln. Wie könne es sein, dass er immer solch ein Pech mit neuen Arbeitgebern habe?, fragt er mich.
Karriere im Vertrieb: Heute hier, morgen da?
Vertriebler wie Michael sind bei mir im Coaching kein Einzelfall. Ihre Lebensläufe sehen häufig so aus und vermutlich gibt es kaum andere Positionen, die ein dermaßen hohes Schleudersitz Potenzial aufweisen. Doch aus meiner Erfahrung liegt es weniger an den Vertriebsjobs selbst oder etwa an den Chefs und Kollegen, sondern an der falschen Auswahlentscheidung beim Jobwechsel. Mit der Zeit konnte ich einige Gemeinsamkeiten im Verhalten vieler Vertriebler in ihrer Rolle als Jobwechsler beobachten:
Vertriebler verkaufen sich gut
Viele Vertriebler finden innerhalb sehr kurzer Zeit wieder (irgend) einen neuen Job. Denn sie sind nicht nur Meister darin, etwas, sondern auch sich selbst gut zu verkaufen. Sie beeindrucken schon im Lebenslauf mit Erfolgen über Umsatzwachstum, Steigerung von Marktanteilen und Aufbau neuer Vertriebskanäle, und später im Gespräch fällt es ihnen leicht, dies alles mit lebendig bunten Geschichten auszuschmücken. Hardcore-Vertriebler texten Personaler so lange zu, bis sie den Arbeitsvertrag zur Unterschrift freiwillig rausrücken – ein Spaß ;)
Vertriebler verfügen über ein starkes Netzwerk
Michael erzählt mir, er sei in die drei letzten Positionen immer über Kontakte reingerutscht, offiziell beworben habe er sich schon lange nicht mehr. Ja, wer selbst bei der Jobsuche nicht allzu anspruchsvoll ist, der findet mit Berufserfahrung im Vertrieb und reichlich Kontakten in der Hinterhand schnell etwas Neues. Und genau in dieser scheinbaren Luxussituation liegt die größte Schleudersitz-Gefahr, so attraktiv ein neuer Vertrag und die nicht existente Lücke im Lebenslauf auch sind. Hinzu kommt: Wer lehnt schon gerne eine persönliche Einladung in den neuen Job ab und prüft dann noch kritisch, ob es wirklich passt? Eine neue Stelle aus Gefallen und persönlicher Freundschaft anzutreten birgt Gefahren, die viele Vertriebler in dieser Entscheidungssituation großzügig übersehen.
Vertriebler sind ungeduldige Macher
Hinzu kommt, dass die meisten Vertriebler ungeduldig umtriebige Macher sind. Sie wollen immer etwas bewegen, rastlos voran- und rumkommen. Sie haben erst gestern von der Kündigung erfahren und schon heute aktualisieren sie ihren Lebenslauf, tickern ihre Top-Kontakte über XING an und zur Sicherheit werden parallel fix zehn Bewerbungen in die Republik rausgeschickt. Auch wenn es vielleicht lustig klingt, ich übertreibe nicht, sondern beobachte diese Umtriebigkeit exakt so bei vielen Vertrieblern auf Jobsuche.
Alle drei Eigenschaften und Verhaltensmuster sind eine gefährliche Kombination für eine langfristige Karriere im Vertrieb, denn so rutschen viele Angestellte und Führungskräfte im Vertrieb flott und ohne den kleinsten Moment der Selbstreflexion von einem nicht passenden Job blindlings in den nächsten – von gezielter Jobsuche und bewusster Auswahl eines neuen Arbeitgebers keine Spur.
Reingefallen: Wenn Vertriebler die Katze im Sack kaufen
Michael wurde offiziell als Key Account Manager eingestellt, um die bestehenden Kunden des Unternehmens zu betreuen, als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, über Produktneuerungen zu informieren sowie individuelle Kundenbedarfe zu identifizieren. Als Schnittstelle zwischen Kunden und Produktion sollte er die Anforderungen aus dem Markt erkennen und in die Produktentwicklung einbringen – so zumindest stand es in der Stellenausschreibung geschrieben.
Doch bereits nach der ersten Woche bekam er zu spüren, dass die Erwartungen seines Chefs tatsächlich völlig andere waren. Er erhielt eine Liste mit 100 Adressen und Telefonnummern, die er abtelefonieren und Termine für den Außendienst „klarmachen“ sollte. Kaltakquise im Back-Office vom Feinsten. Die Umsatzzahlen seien in diesem Monat unter den Zielvorgaben, um die alten Kunden könne er sich in Ruhe später kümmern, so die Aussage seines Chefs.
Ich spüre bei Michael die Wut und gleichzeitig die Trauer, die in ihm steckt. Die Wut auf seinen Chef, dass er ihm eine andere Position verkauft hatte und auch die Wut auf sich selbst, offensichtlich schon wieder auf einen falschen Job reingefallen zu sein. In keinem anderen Berufsfeld erlebe ich es so häufig, dass sich die Aufgaben im realen Tagesgeschäft so fundamental von denen unterscheiden, wie sie in Stellenbeschreibungen beschrieben oder im Bewerbungsgespräch von Arbeitgeberseite dargestellt wurden.
Viele Vertriebler sind keine Meister in stumpfsinniger Kaltakquise, sondern sie möchten raus zu Kunden, beraten, Beziehungen auf- und ausbauen. Sie sind Hands-on-Anpacker, Schwachstellenfinder und Lösungssucher, Vermittler, Netzwerker und Strategen. Michael gehört auch zu ihnen und es wundert mich nicht, als er mir sagt, er fühle sich wie im Gefängnis eingesperrt, könne schon jetzt nachts nicht mehr gut schlafen und müsse dort schnellstens wieder raus.
Vertriebsjobs: Kundenberater, Produktverkäufer oder Markenbotschafter?
Auf vielen Jobs steht heute Vertrieb, Sales, Kundenberatung, Produktmanagement, Key Account Management oder Business Development drauf, doch dahinter können sich völlig unterschiedliche Vertriebsaufgaben verbergen. Die zentrale Frage ist:
Woran wird dein Erfolg in einer Vertriebsposition konkret gemessen?
Aus meiner Arbeit mit Vertrieblern und dem Lesen etlicher Stellenausschreibungen habe ich mir folgende Klassifizierung von Vertriebsjobs nach drei Schwerpunkten überlegt, deren Verständnis für deine gezielte Jobsuche und deine nachhaltige Karriere im Vertrieb sehr hilfreich sein wird:
1 | Produktverkäufer (w/m/d)
Hier geht es um den schnellen Umsatz und Stückzahl mit wenig erklärungsbedürftigen Produkten in einem Massenmarkt. Kaltakquise, Cross-Selling, Produkte in den Markt drücken. Es herrscht hoher Umsatzdruck, der kurzfristige Erfolg zählt und hierfür darf es auch mal etwas unehrlicher dem Kunden gegenüber zugehen. Es sind Jobs mit hohem Provisionsanteil und oft herrscht ein starker Wettbewerb zwischen den Kollegen eines Vertriebsteams. Einige nennen es Klinken putzen, andere Drückerkolonne, wieder andere Produkte verticken. So negativ es klingt und auch das Image des „Handelsvertreters“ erscheinen mag, so viel Freude macht es auch vielen Vertrieblern. Sie genießen ihre Freiheiten, Erfolge sind schnell messbar, der harte Wettbewerb ist für sie Motivator und je größer das persönliche Engagement, umso höher ihr Gehalt am Monatsende.
2 | Kundenberater (w/m/d)
Hier stehen die Kunden und ihre individuellen Bedürfnisse im Zentrum. Es geht um die gemeinsame Erarbeitung von kundenspezifischen Produktmerkmalen, etwa im Maschinen- und Anlagenbau oder bei Software, die durch Customizing auf die Branche, Produkte oder Arbeitsprozesse eines Kunden angepasst werden muss. Natürlich zählt auch hier am Ende der Umsatz, jedoch ist die Beratung integraler und wichtiger Teil der Leistung. Hohes Experten- und Spezialwissen über Branchen und Produkte sind hierbei erforderlich, häufig sind solche Positionen mit technisch anspruchsvollen Produkten für Ingenieure, Informatiker oder Branchenkenner mit vielen Jahren Markt- und Berufserfahrung ausgeschrieben.
3 | Markenbotschafter (w/m/d)
In diesem Vertriebsjob geht es darum, ein Produkt oder eine Marke im Markt bekannter zu machen, Kooperations- sowie Vertriebspartner für das Unternehmen zu gewinnen und einen Markt zu erschließen. Hier sind empathische Netzwerker und kreative Strategen gefragt, die Potenziale und Chancen erkennen sowie ein Gespür für Märkte und Menschen besitzen. Nicht der schnelle Umsatz steht im Vordergrund, sondern der mittel- und langfristige Auf- und Ausbau einer Marke sowie von Kundenbeziehungen oder Kooperationspartnern.
Vertrieb ≠ Vertrieb: Welcher Vertriebsjob passt zu dir?
Vielleicht hast du gerade beim Lesen schon darüber nachgedacht, in welchem dieser drei Vertriebsjobs du dich am ehesten sehen würdest? Klar dürfte dir geworden sein, dass es sich nicht nur um drei völlig unterschiedliche Aufgaben und Tätigkeiten handelt, sondern dass diese drei Jobs auch ebenso unterschiedlich ausgeprägte Stärken erfordern.
Meine Erfahrung zeigt, dass Vertriebsjobs in der Realität oft eine Mischung der hier beschriebenen sind, es jedoch immer einen Schwerpunkt gibt. Auf welcher Seite oder auf welcher Stelle auf einem Pfeil zwischen zwei Ausprägungen möchtest du in deinem nächsten Vertriebsjob am liebsten arbeiten? Bist du eher der Kundenberater, für den zwischendurch auch mal der schnelle Verkauf oder das Knüpfen von Kontakten etwa auf Messen in Ordnung ist? Oder siehst du dich mehr als den umsatzgetriebenen Verkäufer bzw. den strategischen Netzwerker?
Darauf solltest du als Vertriebler beim Jobwechsel achten
Stellenanzeigen genau lesen
Sieh genau hin, denn aus den meisten Stellenanzeigen lässt sich bereits die grobe Ausrichtung eines Vertriebsjobs entsprechend meiner Klassifizierung herauslesen. „Sie sind verantwortlich für die Erschließung der Region Süd“ ist eine andere Ausrichtung als „Sie identifizieren und bauen strategische Partnerschaften auf“ oder „Sie gewinnen täglich neue Kunden und realisieren die gesetzten Umsatzziele“. Versuche, die Stellenausschreibung zuzuordnen und entscheide, ob diese Aufgaben wirklich zu dir und deine Stärken passen und es das ist, was du in den nächsten Jahren machen möchtest.
Klare Kante mit deiner Bewerbung zeigen
Entscheidest du dich für die Bewerbung auf eine Stelle, dann schaffe mit deinem Anschreiben Klarheit, was dir im Beruf und bei einem Arbeitgeber besonders wichtig ist und worin genau du deine Stärken siehst. Es nützt nichts, dich als bester Verkäufer der Welt zu verkaufen, wenn du eigentlich lieber als Netzwerker und Stratege gut bist. Stelle klar heraus, worin du deine berufliche Zukunft siehst und wie du daher die ausgeschriebene Stelle ausfüllen wirst. Nur so hat ein neuer Arbeitgeber die Chance, selbst zu bewerten, ob du auf Dauer wirklich eine gute Besetzung bist. Denn schließlich sollten beide Seiten nicht die Katze im Sack kaufen.
Art des Vertriebsjobs im Bewerbungsgespräch klären
Kläre im persönlichen Bewerbungsgespräch, wofür genau du „eingekauft“ wirst. Frage deinen zukünftigen Chef, woran sie oder er konkret festmachen wird, dass du einen guten Job machst. Woran wird dein Erfolg nach einem halben oder nach einem Jahr gemessen? Daran, ob du möglichst schnell Umsatz generiert hast oder daran, dass du als Experte Kunden gut beraten und Produkte verkauft hast? Oder vielleicht daran, dass du strategische Partner gewinnen und die Marke im Markt bekannter machen konntest? Falls deine Gesprächspartner auf diese Fragen nicht klar antworten können (weil sie sich womöglich selbst hierzu noch keine Gedanken gemacht haben), dann darfst und solltest du als Bewerber so lange nachhaken und alle Fragen stellen, bis du die erforderliche Klarheit besitzt, mit der du guten Gewissens einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben kannst. Denn nur dann wirst du im für dich richtigen Job landen und kannst mit deiner Karriere im Vertrieb gesund und erfolgreich durchstarten.
(Titelbild: 123rf.com, #118597873, stylephotographs)
4 | Akquisiteure, für erklärungsbedürftige Produkte (w/m/d)
…. Und dann gibt es noch die Akquisiteure, für erklärungsbedürftige Produkte wie Soft- und Hardware zu KI, IoT und komplett neue Produktgruppen.
Das sind Dinosaurier, oft im Projektgeschäft, mit Laufzeiten vom Erstkontakt bis zur Umsetzung von nicht selten fünf bis zehn Jahre.
Diese Gruppe benötigt ein besonders dickes Fell. Insbesondere dann, wenn nach einem Jobwechsel man mit einem Stamm von NULL Interessenten beginnt.
Da kann es passieren, dass in den ersten zwei bis vier Jahren noch kein Pitch an Land gezogen wird.
Die, die das durchhalten sind für mich die eigentlichen Könige im Vertrieb, da der Erfolg sich oft erst nach Jahren einstellt.
Da heißt es in der Tat aufpassen und beim Jobwechsel keinen Innendienst oder Key Account aufs Auge gedrückt zu bekommen.
Interessanter und gutgeschriebener Artikel!
Wenn der Vertrieb die Erwartungen nicht erfüllt, wechselt man hektisch die Vertriebler aus – das erleben Salesinsider regelmässig.
Das Geheimnis steckt im hier erwähnten ´sich Gedanken machen´: zu Erwartungen bzw. Erfolgsfaktoren einer effektiven Vertriebsstrategie – auf Seiten der Unternehmensleitung.
Denn erfolgreicher Vertrieb beginnt innerhalb des Unternehmens. Anfangs, um Erwartungen, Budget und Pflichtenheft für Vertriebsaufgaben zu definieren, dann um die Marktanforderungen zu definieren, die man kennen sollte. Dann um die Informationsanforderungen des Vertriebs zu verstehen, dann um das Budget nochmal darauf anzupassen und schließlich, um dem Vertrieb ein intern respektiertes Forum aufzubauen, in dem die Anforderungen der Kunden in die interne Unternehmenssprache übersetzt werden.
Es ist sehr nützlich, sich im Vorfeld der Besetzung einer Vertriebsposition zu Strategie und Bedarfsplanung klar zu werden und die unternehmensinternen Erwartungen zu definieren. Dafür ist die Analyse wichtiger Markttrends und aussagekräftige Informationen zu Preisen, Kosten, Engpässen und Erkenntnissen aus dem Vertrieb nützlich – kurzgesagt: weitreichende Vertriebskompetenz auf Geschäftsleitungsebene.